Ein historisches Literaturprojekt

Das wahre Ausmaß

Jorge fühlte sich sicher, dass während seiner Abwesenheit alles zu seiner Zufriedenheit geschehen würde. Miguel Dias, der Bauingenieur machte auf ihn einen zuverlässigen Eindruck. Jorge wusste auch, dass der Arzt da Mota und Bruder Manuel ein Auge auf den Fortschritt der Arbeiten haben würden.

Am Mittag des 15. August 1527, bei leichtem Südostwind wurde die São Martiniano von den Beibooten aus der Bucht auf das offene Meer gezogen. Nachdem man die Beiboote an Bord gehievt hatte, konnten sie Segel setzen. „Kurs Ost“, befahl Jorge, als Sie um die Südwestspitze Santa Júlias herumgefahren waren. Auf Deck stand ein kleiner Tisch mit Tintenfass, Federkielen, Kohlestiften und einigen leeren Pergamentstücken. An diesem saß der Schreiber Afonso de Caminha, der auch Kartograph war. Er zeichnete die Küstenlinien nach. Fernando half ihm, in dem er ihn auf seefahrerische Besonderheiten aufmerksam machte, wie Riffe und Untiefen. De Caminha malte keine zusammenhängende Karte, sondern nur Bruchstücke mit verschiedenen Kommentaren. Zu einem späteren Zeitpunkt setz er dann diese ganzen Stücke zu einer großen Karte zusammen.

Eine halbe Stunde waren sie schon an der Südküste lang gefahren, da kam eine weitere Insel in Sicht. Jorge änderte den Kurs auf Nordost um nördlich dieser Insel vorbei zu fahren. Das muss die Insel sein, die der Erkundungstrupp beschrieben hat. Zu Ehren der Jungfrau Maria gab er ihr den Namen – Ilha da Santa Maria. Viele Monate später wird der oberste Kartograph des portugiesischen Königs mal wieder mit dem Kopf schütteln, über so viel Einfallslosigkeit der portugiesischen Entdecker.

Plötzlich, wie abgeschnitten ließ der Wind nach. Das Schiff verlor an Fahrt. Linker Hand konnte man die lange, nach Nordost zeigende Landzunge von Santa Júlia sehen. Akribisch kartographierte Afonso de Caminha jede Landmarke.

Langsam bewegte sich das Schiff weiter, aber von Fahrt konnte man nicht mehr sprechen. Davor hatten die Seeleute Angst – in einer Flaute stecken zu bleiben. Es gab nur eine Möglichkeit dem nervenzerreibenden Warten auf Wind zu entrinnen: Sie müssten das Schiff mit den Beibooten zum Wind schleppen. Dies war für jeden Seemann ein Graus, man fühlte sich dann, wie ein Galeerensklave. Die São Martinano machte so gut wie keine Fahrt mehr und dümpelte langsam an der Nordspitze der Insel Santa Maria vorbei. Die Sonne senkte sich im Westen hinter die Silhouette von Santa Júlia in den Atlantik. Schließlich gab Jorge Befehl die zwei Beiboote zu Wasser zu lassen. Als er nach Freiwilligen fragte, die mit Hilfe der Beiboote die São Martiniano an einen Ankerplatz schleppen sollte, blieb es erst still. Niemand meldete sich. Dann riss Fernando der Geduldsfaden, er kletterte über die Rehling, sprang ins erste Boot und rief den verdutzt dreinblickenden Seeleuten zu, „nur wer rudert, bekommt etwas zum Abendessen“. Zögerlich stiegen weitere Seeleute in die beiden Boote.

Der Himmel war schon in blutrot getaucht, als man einen Ankerplatz im Osten der Insel Santa Maria erreichte. Ratternd zog der schwere Anker die eiserne Kette hinter sich her und klatschte auf die spiegelglatte See. Ein schwefliger Geruch machte sich langsam breit und mehrere der Seeleute wähnten den Belzebub in der Nähe des Schiffes oder den Schlund der Hölle. Jorge und Fernando versuchten die besonders Abergläubischen in Mannschaft zu beruhigen. Am nächsten Tag sollten die Kartographiearbeiten fortgesetzt werden.

Am Morgen kam wieder Südwestwind auf und dann löste sich auch das Rätsel um den inzwischen penetranten Geruch. Es lagen noch weitere Inseln vor Ihnen, zur linken Seite ein paar kleine und zur rechten eine große. Der Geruch schien von der zweiten Insel zu kommen, über der auch Rauchfahnen aufstiegen. Nachdem der Name Teufelsinsel oder Hölleninsel von Jorge kategorisch abgelehnt worden war, schlug einer aus der Mannschaft den Namen Rauchende Insel vor - Ilha Fumadores.

Jorge rang nach weiteren Namen für die restlichen Inseln. Die erste Insel auf der linken Seite widmete er seiner Heimat Spanien Ilha Espanhola. Fernando hatte ihn dazu ermutigt, schließlich war Jorge gebürtiger Spanier. Aber falls diese Bezeichnung in Portugal dem Obersten Kartographen stören sollte, wollte er sie Ilha Lisboa nennen.

Die große Insel auf der rechten Seite hatte man schon am Abend vorher gesehen, aber sie lag zu diesem Zeitpunkt für eine exakte Kartographierung viel zu weit weg. Jorge bemühte wieder einen Heiligennamen und nannte sie Ilha de São Estêvão, dem Heiligen Stephan, dessen Gedenktag am heutigen in der katholischen Kirche begangen wurde. Diese Insel hatte eine geschützte Bucht. De Caminha hatte an diesem 16. August 1527 alle Hände voll zu tun, seine Karten zu vervollständigen.

Dann war da noch eine kleine Insel auf der linken Seite. Durch das Sehrohr konnte er Möwen ausmachen und somit lag auch dieser Name auf der Hand – Ilha das Gaivotas.

Und während Afonso de Caminha zeichnete, konnte Jorge links die nächste, eine deutlich größere Insel auf. Da diese eine längliche Form hatte, entschloss sich Jorge sie Ilha Longa zu nennen. Man ahnt es, es heißt einfach lange Insel.

Schließlich im Südosten hinter der Insel des Heiligen Stephan machten Jorge und Fernando eine weitere Insel aus. „Welchen Namen soll denn diese Insel erhalten“, fragte der Schreiber. Jorge sah Fernando fragend an und zuckte leicht mit den Schultern, „was meinst Du, Fernando. Insel des Heiligen Joseph?“ „Verzeih mir, Jorge. Aber das ist sehr einfallslos. Wie wäre es mit Ostinsel?“ Der Schreiber sah etwas ungeduldig Jorge an, der scheinbar auch keine Idee hatte und warf dann ein, „darf ich einen Vorschlag machen?“ Jorge nickte dem Schreiber zu, „sehr gerne.“ „Wie wäre es mit Ilha de Clemente. Den Namen unseres obersten Kirchenhirten.“ „Das scheint mir die Lösung zu sein“, entgegnete Jorge. In seinem Roteiro schreibt er am nächsten Morgen, dass man über den Heiligen Vater in Rom gesprochen hätte und so war für ihn als Katholiken klar, welche Namen die Insel erhalten sollte. Im Jahre 1527 war Clemens VII. Papst auf dem Heiligen Stuhl in Rom – sein bürgerlicher Name war im Übrigen Giulio dé Medici.

An diesem Abend befehligte Fernando eine Kursänderung nach Norden, als er sich sicher war, dass im Osten keine weiteren Inseln zu entdecken wären.

Der nächste Nachmittag hielt für Jorge und seine Männer die nächste Überraschung bereit. „Land an Backbord“, schrie der Matrose aus dem Krähennest. Es war gegen vier Uhr. Jorge stürmte aus der Kajüte auf das Achterkastell und fragte sich, „die nächste Insel?“ „Ilha Norte“, sagte Fernando zu Jorge, „sie dürfte die nördlichste Insel.“ „Einverstanden.“ Jorge nickte und der Schreiber machte einen offenbar beliebigen Kringel auf seiner Seekarte und schrieb daneben, Ilha Norte.

Der Wind frischte auch am nächsten Morgen kaum auf und so kam man nur sehr langsam voran. Am nächsten Mittag, der Wind war wieder mal abgeflaut, kam erneut der Ruf aus dem Ausguck. Eine weitere Insel kam an Steuerbord in Sichtweite. Fernando bemerkte nebenbei, dass diese Insel ja sehr klein wäre und da sie den Namen Nordinsel schon vergeben hatten. , lag der Fall für Jorge klar auf der Hand, „Ilha Pequena - die kleine Insel.“

Diese Faulheit unserer beiden Entdecker würde in den nächsten ein hundert Jahren ein Niederländer korrigieren und die kleine Insel, die gar nicht so klein war, Nordinsel nennen.

Gegen Abend drehte der Wind auf Südwest und nahm an Intensität zu. Um ihr Ziel zu erreichen, war das ideal.

Route der São Martinano vom 15. August 1527 bis 18. August 1527

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Eingestellt: 25.07.2014
Geändert: 19.04.2015
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