Ein historisches Literaturprojekt

Île de Roi – Frankreichs Königsinsel

Das Beiboot der Victoire setzte auf dem Sand auf und schob sich noch knirschend einen guten Meter auf den Strand. Heraussprangen vier Männer, die mit Degen und Musketen bewaffnet waren. Einer der Männer war schlank und hager. Sein Gesicht wies eine merkwürdige Narbe auf. Das war Jérôme Bertrand, der schon in seiner Heimatstadt Châteauroux durch besonderen Ehrgeiz auf sich aufmerksam gemacht hat.

Schnell hatte er in der Armee des französischen Königs Karriere gemacht und kam so auch das erste Mal zur See. 1633 schließlich hatte ihn Kardinal Richelieu selbst ausgewählt. Neben den Aktivitäten in Nordamerika wollte Richelieu auch am afrikanischen Handel partizipieren. Noch fehlte es Frankreich aber an Stützpunkten an der afrikanischen Küste. So wurde Bertrand beauftragt sich umzusehen und Stützpunkte einzurichten.

Von der Inselgruppe im Atlantik hatte Jérôme Bertrand eher zufällig erfahren. Die Portugiesen hatten die Existenz dieser Inselgruppe nie publiziert. Auch die derzeitigen Herren, die Niederländer hatten kein großes Interesse an weiteren Konkurrenten. So fuhr Jérôme Bertrand eher in einen unbekannten Teil des Atlantiks. An der Westküste Afrikas hatte er schon eine paar gute Plätze gefunden, die jedoch auch durch Niederländer besetzt waren, wie das spätere Saint Louis oder die Insel Goeree, das spätere Gorée.

Bertrand hatte in Erfahrung gebracht, dass es auf der größten Insel eine kleine portugiesische Festung geben soll, die vor Jahren von den Niederländern besetzt worden war. Er war mit der Victoire am Eingang der Groote Baai in einer dunklen Nacht in respektvoller Entfernung vorbeigefahren. Das Feuer der Buchtwache war deutlich zu sehen und signalisierte, dass hier kein Durchkommen war. Schließlich ankerte er mit der Victoire im Südosten von Nieuw Texel. Die Victoire, eine ältere Galeone, die noch nicht aus dem neuen französischen Schiffsbauprogramm stammte. Mit sechs Kanonen auf jeder Seite war sie den niederländischen Fregatten deutlich unterlegen.

Die Männer standen am Strand und orientierten sich. Sie schlugen einen Weg direkt in den Wald ein. Nach rund zwei Stunden Fußweg durch das Dickicht erreichten sie die andere Seite der Landzunge und hatten einen guten Blick in die große Bucht, von der Jérôme erfahren hatte, dass die Portugiesen sie Baía do São Vincente nennen. Sein Informant war zu verlässig. Gegenüber an einer Bachmündung lag ein kleines portugiesisches Fort, auf dem die Farben der Niederlande wehten. Und noch etwas hatte er entdeckt. In der Bucht lagen zwei niederländische Fregatten.

Ursprünglich hatte Jérôme Bertrand den Plan das Fort mit abgebauten Kanonen seiner Victoire von Land aus anzugreifen. Mit einem Schiff in die Bucht einzufahren war viel zu gefährlich. Die Kanonen des Forts waren alle auf See und nur wenige Richtung Land gerichtet. Ein solcher Plan hätte schnell aufgeführt werden müssen, dann wäre ein von Erfolg gekrönt. Doch nun sah die Sache anders aus. Die Fregatten lagen auch nicht nebeneinander, sondern ankerten in einiger Entfernung voneinander. Würde Jérôme das Fort mit seiner Hand voll Leute angreifen, hätte er nicht die Mannschaft des Forts und seine Kanonen zu fürchten, sondern auch die Kanonen der beiden Fregatten, die fast jeden Meter des Strandes hätten beschießen können.

Noch eine Weile beobachteten die Männer die Szenerie. Es schien nicht, als würden die beiden Fregatten bald wieder in See stechen. Dafür war viel zu wenig Aktivitäten zu beobachten. Nach einer guten Stunde traten sie den Rückweg durch die dichte Bewaldung an.

Zurück auf der Victoire ließ Jérôme die Segel setzen und befahl Kurs nach Osten. Der Wind stand verhältnismäßig günstig und so sah man auch die Anzahl an Inseln, die dieser Archipel umfasste. Jérôme überlegte mit seinen Offizieren, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe das Fort der Niederländer anzugreifen, doch die Gefahr war zu groß.

Stattdessen entschied sich Jérôme die nächste, günstige Insel zu besetzen. Schon am Horizont sah man Nieuw-Vlieland. Er schenke ihr jedoch sehr wenig Aufmerksamkeit. Die Insel sollte wenigstens eine Bucht haben, in der man ankern könnte. So fuhren sie weiter.

Weiter in Richtung Osten folgte die Ilha de São Estêvão. Nur drei Portugiese hatten 1527 die Insel betreten, verweilten aber nur wenige Stunden, seit dem war sie wieder unbewohnt. Die Bucht mit der nordwärts gewandten Zufahrt, ihre Breite von weit über einer Meile und fast drei Meilen Länge gefiel Jérôme außerordentlich gut. Die Insel eignete sich besonders gut, da auch sie ehemals vulkanischen Ursprungs war, dessen Krater sich mit Seewasser gefüllt hatte und so einen natürlichen Hafen bildete. Am 23. April 1634 ließ er einen Flaggenmast errichten, zog die weiße Flagge mit den drei goldenen Lilien auf und nannte die Insel Île de Roi, die Insel des Königs.

Jérôme ließ vier Holzhütten, einen kleinen Turm und eine Palisade um den Flaggenmast errichten. Verheißungsvoll nannte man diese Hütten Fortess Louis. Neun Soldaten waren abkommandiert das Fort zu besetzen. Er selbst legte im Herbst des Jahres ab, um seinen Erfolg in Frankreich zu bei Kardinal Richelieu zu melden.

Schon im Frühjahr des folgenden Jahres lief eine Fregatte der neuen französischen Marine in die Bucht um die Mannschaft zu verstärken und mit Baumaterial zu versorgen.

So entstanden auf der Île de Roi eine sehr kleines, aber wehrhaftes Fort und ein sicherer Ankerplatz für die Schiffe der französischen Marine. Besondere Bedeutung erhielt dieses Fort nicht, da viele Jahre später an der Westküste Afrikas andere Festungen unter französischer Herrschaft entstanden.


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Eingestellt: 27.12.2014
Geändert: 27.12.2014
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Fortsetzung folgt …