Ein historisches Literaturprojekt

Die kleine Festung

Es war alles in bester Ordnung. Jorge konnte sich auf seine kleine eingeschworene Truppe verlassen. Nur mit der Population der schmackhaften Júlia-Hennen waren die Männer etwas unvorsichtig umgegangen. Bis zu Jorges letzter Abreise von Santa Júlia, viele Jahre später, bekam er keines dieser Tiere mehr zu Gesicht.

Fast drei Tage waren die Mannschaften beschäftigt die Laderäume der São Martiniano leerzuräumen. Unmengen an Baumaterial, Nahrungsmittel und vor allem Haustiere wurden entladen. Danach hatte Seemannschaft noch eine Woche Arbeit den intensiven Urin- und Kotgestank aus dem Schiff zu tilgen. Es wurde in einiger Entfernung vom Bauplatz des Forts ein kleiner Bauernhof angelegt, mit Stall und ein paar Feldern. Etwa ein halbes Jahr später brachte die erste Ziege zwei kleine Ziegen auf die Welt – die ersten gebürtigen Einwohner Santa Júlias.

Der Bau schritt gut voran. Der Steinbruch lieferte Baumaterial recht ordentlicher Qualität und kurz vor Weihnachten 1527 konnte man auf der ersten Bastion Richtfest feiern.

Weniger als ein Viertel des Forts war nun aus Stein entstanden. Den offenen Teil umzäunte eine Palisade mit überdachten Wachtürmen, die jedoch meist unbesetzt waren. Dieses Provisorium entstand in der Anfangszeit des Baus, als man sich noch nicht sicher war, dass die Insel unbewohnt ist. So großzügig, wie die Festung in Elmina, sollte und konnte dieses Fort nicht werden, das war Jorge schon klar. Es sollte aber einer Mannschaft genügend Platz bieten, auch für Vorräte. Und wenn es brenzlig wurde, vielleicht auch für die Menschen, die um das Fort irgendwann mal leben würden.

„Jorge, welchen Namen gedenkst Du dem Fort zugeben“, fragte Padre Manuel da Encarnação, der Seelsorger der kleinen Gemeinde. Der Angesprochene, der gerade an einem großen Tisch mit den Bauplänen des Forts saß, sah auf. Manuel war in ein braune, einfache Kutte gekleidet, deren einziger Schmuck ein etwas zu großes Holzkreuz war, das an einem Seil um seinen Hals baumelte.

„Ich weiß es noch nicht, Padre Manuel“, antwortete Jorge. „Dann benennt es doch nach der Heiligen Mutter Gottes“, empfahl der Padre. „Ich sagte, ich weiß es noch nicht“, gab Jorge etwas angegriffen zurück.

In den letzten Wochen hatte ihn der Padre schon mehrfach dazu gedrängt. Er wollte nicht immer die selben Namen verwenden

AB HIER !!!

Ungewöhnlich demokratisch ließ Jorge eines Tages die Männer abstimmen, wie das Fort heißen sollte. Es gab viele Vorschläge, Fort Santa Júlia oder Fort São Vicente oder Fort Santa Maria oder Fort do Rei (Fort des Königs). Doch schließlich setzte sich der Name Fort São Martiniano durch.

Obwohl sich auf der Ostseite des Forts ein Fluss dahin schlängelte, ordnete Jorge an, dass Zisternen gebaut werden sollte. Durch geschickt geführte Rohrleitungen fand das Wasser seinen Weg in die unterirdischen Wasserreservoirs, die in der Mitte des Forts unter den noch zubauenden Häusern lagen. Dieses planerische Meisterstück hatte Miguel Dias vollbracht.

Gut hundertfünfzig Jahre später wurde noch eine Wasserleitung parallel des Flusses in die Hügel oberhalb der Festung geführt, um dort frisches Wasser vom Fluss herbeizuleiten.

Im folgenden Jahr unternahm Jorge eine weitere, wieder sehr erfolgreiche Reise nach Elmina. Gut beladen kam er nach zehn Wochen zurück.

Im Winter 1528 begann der Bau des steinernen Portals an der Ostseite des Forts. Für den Abschlussstein hatte Jorge dem Steinmetz die Order gegeben, einen Skorpion herauszumeißeln. Der Skorpion sollte an die Leiden des Heiligen Martinianus erinnern. So wurden das Symbol des Skorpions und die Insel Santa Júlia miteinander verbunden.

Im Frühjahr 1529, die Festung hatte inzwischen eine rundum geschlossene Mauer, brach Jorge zu einer erneuten Reise auf – diesmal nach Lissabon. Trotz penibler und erfolgreicher Bewirtschaftung waren doch die Geldmittel durch die Reisen nach Elmina aufgebraucht und seine Mannschaft war durch Krankheiten etwas dezimiert worden. Er wollte Bericht erstatten, um weitere Geldmittel und um weiteres Personal bitten.

Im Juli kam er in Lissabon an und machte sich mit den gesamten Unterlagen sofort auf den Weg zur Casa da Índia. Den ganzen Tag saß er mit den unterschiedlichen Bürokraten zusammen. Sie prüften seine Bücher, lasen die Reiseberichte und studierten die Karten. Dann schickte man Jorge fort mit den Worten, dass man sich noch beraten müsse und er solle zu Beginn der nächsten Woche wiederkommen. Die Mappe mit seinen Unterlagen war deutlich leichter geworden. Sein Roteiro hatte er abgegeben, auch die Buchführung und die Zeichnungen und Karten von Afonso de Caminha.

Eine entsetzliche Warterei begann für Jorge und seine Mannschaft. Die São Martiniano lag in der Bucht des Tejo vor Anker. Als er am Montagmorgen in der Casa da Índia vorstellig wurde, vertröstete man ihn auf Freitag. Wieder warten.

Endlich am Freitag ließ man ihn zum Schatzmeister der Casa da Índia vor.

Am Abend verließ er das Gebäude wieder und trat erschöpft auf den großen Platz, Terreiro do Paço, der eine steinerne Uferpromenade zum Tejo hatte. Er ging langsam darauf zu, gedankenversunken. Die untergehende Sonne zeichnete lange Schatten auf den Platz. Er setzte sich auf die Kaimauer. Sein Blick glitt über die leichten Wellen des Tejos. Einige hundert Meter entfernt lag die São Martiniano vor Anker. Er atmete tief und sog die salzige Luft in die Lungen – er hatte es geschafft. Er hatte den Schatzmeister der Casa da Índia überzeugen können, dass er gut gehaushaltet hatte, dass er alles zum Ruhme Portugals getan hatte und schließlich davon, dass weitere Geldmittel zur Verfügung gestellt wurden - und zwanzig weitere Soldaten abkommandiert wurden nach Santa Júlia. Das war im Vergleich zu Elmina nur eine Handvoll, doch Jorge war sichtlich zufrieden.

Am nächsten Morgen machte pünktlich zur vereinbarten Zeit ein kleines Boot, besetzt mit 6 Soldaten und einem Beamten der Casa da Índia an Längsseite der São Martiniano fest. Jorge quittierte den Empfang einer kleinen, schweren Truhe, die die Seeleute an Bord hievten.

Es dauerte ein paar Tage bis auch die zwanzig Soldaten an Bord vollzählig waren. Man empfand es unter den portugiesischen Soldaten nicht als besonders ehrenhaft, in eine Festung am Ende der Welt abkommandiert zu werden. Selbst der Dienst in Elmina wurde zu einem Teil durch Strafversetzte bestritten. Diese Situation verschärfte sich zum Ende der portugiesischen Herrschaft in Afrika immer mehr.

Es dauerte diesmal nur zehn Wochen bis Jorge, nach halbjähriger Abwesenheit in der Bucht Baía do São Vicente Anker werfen ließ. Sofort machte sich Jorge daran, den Baufortschritt zu kontrollieren und sich mit dem Bauingenieur Miguel Dias zu besprechen. Auch der Bauernhof machte gute Fortschritte. Jorge hatte sechs Rinder und zehn Schweine in Lissabon geladen. Eines der Schweine war bei schwerem Seegang vor Gomera so unglücklich gestürzt, dass man es schlachten musste. In den Tagen darauf gab es, sehr ungewöhnlich auf Schiffen des sechzehnten Jahrhunderts, gegrilltes Schweinefleisch.

Jorge hatte noch mehr aus Portugal für seine kleine Truppe mitgebracht – geräucherter Schinken und vor allem portugiesischen Wein. Am folgenden Abend, einem Sonnabend, hatte Jorge zu einem Festmahl geladen. Es wurde noch ein weiteres Schwein geschlachtet. Den ganzen Abend feierte die über fünfzig Köpfe große Mannschaft.

Im August segelte Jorge noch einmal nach Elmina um Baumaterial und Lebensmittel zu beschaffen. Dabei lernte er den Sohn Vasco da Gamas kennen, Estêvão da Gama (nicht zu verwechseln mit dem Entdecker – siehe auch Anhang), der zu diesem Zeitpunkt Gouverneur von Elmina war. Die Unterstützung und die Gunst des Schatzmeisters der Casa da Índia hatte sich schon bis Elmina herumgesprochen. Dem entsprechend freundlich und zuvorkommend begegnete man Jorge. Bei diesem Besuch erfuhr er, dass sein Landsmann, der Kaufmann Francesco Seminario ein halbes Jahr zuvor verstorben war – wohl nicht ganz unsanft, wie Gerüchte besagten.

Im Winter 1529/30 legte ein portugiesisches Schiff, von Indien kommend, in Santa Júlia an. Es wurden Nahrungsmittel eingekauft und nachdem noch ein paar Reparaturarbeiten am Schiff verrichtet waren, die sich das Schiff im Sturm am Kap der Guten Hoffnung zugezogen hatte, setzte es seine Reise nach Portugal fort.

Schon im Januar lief das nächste portugiesische Schiff mit dem Namen Fradeza die Insel an. Sie hatte Gold und andere Waren in Elmina geladen und war wegen schlechten Wetters vom Kurs abgekommen. Die Mannschaft wurde so gut es ging versorgt und nach fast drei Wochen verließen sie Santa Júlia mit dem Ziel Portugal.

Im Frühjahr 1530 war der Festungsbau beendet und damit war Jorges Aufgabe beendet.


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Eingestellt: 11.08.2014
Geändert: 11.08.2014
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