Ein historisches Literaturprojekt

Erster Exkurs in die niederländische Geschichte

Es gibt vor allem zwei Pole und Gegenpole, die alle Beteiligten in diesen Jahren antreibt:

Erstens. Die Reformation und Aufklärung auf der einen Seite und die Gegenreformation mit all ihren Auswüchsen, wie die Inquisition, auf der anderen Seite.

Zweitens. Die Selbstständigkeit und Freiheitswillen der niederländischen Städte – und der absolutistische Herrschaftswille des spanischen Landesherrn.

Doch wie ist es dazu gekommen?

Um 1450 gehörten die heutigen Benelux-Staaten zum Herzogtum Burgund, das sich unter Karl dem Kühnen nach Süden über Luxemburg, Lothringen bis Savoyen, teilweise nur als Flickenteppich, ausdehnte.

Als Karl der Kühne (französisch: Charles I. le Téméraire; niederländisch: Karel der Stoute) am 5. Januar 1477 in der Schlacht bei Nancy fällt, sein von Wölfen angefressener und fast nackter Leichnam zwei Tage später gefunden wird, ist die Herrschaft der Burgunder im Gebiet der niederen Lande so gut wie beendet.

Seine einzige Tochter, die unverheiratete, neunzehnjährige Maria von Burgund ist, mit ihrem gewaltigen Erbe, die beste Partie in Europa – und obendrein von schöner Gestalt. Es gab schon vor dem tragischen Tode Karls die Bestrebungen des französischen Königs Louis XI. einerseits, und dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Friedrich III. aus dem Hause Habsburg andererseits, jeweils ihre ältesten Söhne mit Maria zu verheiraten. Dabei konnte sich der Habsburger Maximilian, der zwei Jahre jünger als Maria war, durchsetzen. Schon im Mai 1476, also ein gutes halbes Jahr vor Karls Tod, war Maria Maximilian versprochen worden.

Sicherlich wäre jetzt, nach dem Tod des Burgunder-Herzogs, alles wieder offen gewesen und eventuell hätte auch der sechsjährige Dauphin von Frankreich, Charles, wieder eine reelle Chance gehabt, doch leider vergab sein Vater, König Louis XI., dies durch einen kriegerischen Akt. Er besetzte große Teile der burgundische Gebiete, die an Frankreich grenzten.

Die Witwe Karls, Margaret of York, Stiefmutter und erklärte Gegnerin Louis, entschied sehr zum Wohle Marias. Am 21. April 1477 wurde Maria, inzwischen zwanzig Jahre alt, mit dem achtzehnjährigen Maximilian von Habsburg in Abwesenheit – oder besser in Stellvertretung – verheiratet. Am 19. August war dann die eigentliche Zeremonie im flandrischen Gent.

Diese Heirat war der entscheidende Schritt zum Aufstieg des Hauses Habsburg zur Weltmacht.

Es bedarf jetzt eigentlich keiner besonderen Erwähnung, aber wie man schon vermuten möchte, beanspruchten die Habsburger, die von Frankreich besetzten Gebiete und es kam postwendend zum Krieg. Für diesen Krieg brauchte man Geld, welches sich der Habsburger bei den niederländischen Städten lieh. Diese nutzten wiederum die Chance um ihre Unabhängigkeit zu behaupten und dem geschwächten Herrscherpaar Privilegien und Rechte abzuringen.

Der Drang nach Selbstbestimmung war bei den niederländischen Städten sehr stark ausgeprägt. Zur gleichen Zeit fielen die reformatorischen Ideen auf fruchtbaren Boden. Sicherlich bedingte und begünstigte das eine, das andere.

Zudem war die ökonomische Situation in den Niederlanden ausgesprochen günstig: Fischerei in der Nordsee, Ackerbau und Viehzucht entwickelten sich auf den trockengelegten Flächen gut. Aber besonders Handel und Gewerbe, hier sei das Textilgewerbe hervorzuheben, erstarkten rasch.

Nach Marias Tod bei einem Reitunfall wird ihr Sohn Philipp, später der Schöne genannt, testamentarisch als Erbe eingesetzt. Er ist zu diesem Zeitpunkt aber erst vier Jahre alt. Tatsächlich übernimmt sein Vater Maximilian die Regentschaft.

Nachdem Philipp der Schöne im Alter von 28 Jahren an einer Infektion unerwartet in Burgos stirbt, wird seine Schwester Margarete vom Vater als Statthalterin in den Niederlanden eingesetzt. Sie übernimmt auch die Vormundschaft über vier ihrer Nichten und Neffen, da Philipps Frau Johanna durch den plötzlichen Tod ihres Gatten dem Wahnsinn anheimgefallen sein soll. Ihre Festsetzung in einem Kloster lässt aber den Verdacht aufkeimen, dass sie aus machtpolitischen Gründen kaltgestellt werden sollte.

Margarete hielt Hof in Mecheln und versammelte viele Künstler und Gelehrte um sich. Es bildete sich ein Zentrum des Humanismus. Unter anderen gehörte der Universalgelehrte, Theologe, Jurist, Arzt und Philosoph Cornelius Agrippa, aber auch der spätere Papst Adrian von Utrecht zu den Persönlichkeiten ihres Hofes.

Die Niederlande erlebten in diesem Klima den Beginn eines wirtschaftlichen Aufschwungs, der noch lange nach Margarete nachhallen wird.

Margarete betätigte sich auch als Politikerin auf internationalem Parkett. Im Zuge der italienischen Kriege konnte sie, stellvertretend für ihren Neffen, Kaiser Karl V., und auf der anderen Seite Luise von Savoyen, die Mutter des französischen Königs François I., den sogenannten Damenfrieden von Cambrai verhandeln. Die beiden männlichen Herrscher hatten es vorher abgelehnt direkt in Verhandlungen zu treten.

Nachdem Margarete im Winter 1530 verstorben war, trat ihre Nichte Maria von Ungarn (Prinzessin von Kastilien, Österreich und Burgund, also eigentlich von Habsburg) die Nachfolge der Statthalterin der Niederlande an. Maria hatte mit ihren 25 Jahren schon ein bewegtes Leben hinter sich gebracht. Sie war bereits Gattin des jungen ungarischen Königs Ludwig gewesen, der in einer verheerenden Schlacht gegen die Türken sein Leben verloren hatte.

Marias Statthalterschaft dauert von 1531 bis 1555. Dies sind die entscheidenden Jahre für die Entwicklung der Niederlande. Unter ihrer Herrschaft schafft sie es die siebzehn Provinzen zu einem zentral regierten unabhängigem Staatswesen zusammenzufassen, ohne die habsburgischen Interessen zu tangieren. Sie organisiert die Landesverteidigung gegen die Franzosen durch den Bau von mehreren Festungen Mariembourg, Charlemont und Philippeville.

Auch Maria betätigt sich erfolgreich in der europäischen Politik auf der Seite ihres Bruders, Kaiser Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

In Antwerpen wird die Hälfte des Welthandels umgeschlagen und beheimatet die größte Börse Europas. Maria fördert Kunst und Handwerk. Tizian, der italienische Maler, lebt an ihrem Hof in Brüssel und füllt die neugebaute Gemäldegalerie mit Bildern.

Der Buchdrucker und Verleger Christoffel Plantijn gründet eine Druckerei in Antwerpen. Sie gilt mit sechzehn Druckerpressen als die erste industrielle Buchdruckerei und war damit die größte in Europa. Auch er gerät ins Blickfeld der Inquisition, weil er ketzerische Schriften verlegt hat. Der Verdacht entkräftet sich aber, während Plantijn in Paris Zuflucht gefunden hat. Mit Unterstützung des spanischen Königs Felipe II. druckt er, nach seiner Rückkehr, die fünfsprachige Biblia Polyglotta. 1570 erhält er sogar das Monopol für alle liturgischen Druckerzeugnisse Spaniens, der Spanischen Niederlande und der Kolonien. Zugleich ist er aber auch offizieller Drucker der niederländischen Generalstaaten.

Der nächste Statthalter der Niederlande ist der Sohn des Halbbruders von Margaretes früh verstorbenem Mann, Emanuel Philibert von Savoyen. Er war in die Dienste Kaiser Karls eingetreten, um sein Erbe, das Herzogtum Savoyen von Frankreich zurückzuerobern. Vielleicht hatte er deswegen den Spitznamen „Eisenschädel“. Er führte in den Niederlanden Krieg gegen Frankreich. Noch während dieser Auseinandersetzung starb Karl V. und sein Sohn Felipe II. folgt ihm auf eine recht stattliche Anzahl von Thronen – Spanien, Neapel, Sizilien und Sardinien.

Mit dem Friedensschluss von Cateau-Cambrésis im Frühjahr 1559 hatte Emanuel Philibert sein Ziel erreicht, Savoyen wiederzuerlangen. Er dankt dann aber als Statthalter ab.

Mit Felipe II. und seiner ablehnenden Haltung zur Reformation beginnt die eigentliche Auseinandersetzung zwischen Spanien und den Niederlanden.

Margaretha von Parma, eine uneheliche Halbschwester Felipes, wird zu Statthalterin der Niederlande ernannt. Sie tritt ein schweres Erbe an. Die Verordnungen Felipes bedeuten Repressalien gegen die Städte und Stände.

Dann folgt eine Bistumsreform, die einzig und allein zum Ziel hat, die Eigenständigkeit der Städte zurückzudrängen und den katholischen Glauben zu stärken.

Als nächstes werden die Inquisitionsverfahren ausgeweitet, die in wahren Hinrichtungsorgien enden. Margaretha, die eigentlich den Ausgleich zwischen den Konfessionen sucht, ist gegen ihren ersten Minister machtlos.

Es bildete sich unter den  niederländischen Adligen eine starke Opposition gegen die Regierung unter der Führung von Willem van Oranje und Philippe de Montmorency.

1564 gelingt es schließlich doch, Felipe zur Absetzung des Ministers Antoine Perrenot de Granvelle zu bewegen.

Durch die Abberufung Granvelles sahen die adlige Opposition gestärkt und stellte weitere Forderungen.

Dann folgte der sehr harte Winter 1564/65, verbunden mit einer Missernte und einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise. Immer mehr Menschen liefen zum Calvinisten über und suchten ihr Heil dort. Das führte wiederum zu noch mehr Ketzerprozessen und Todesurteilen. Die Spirale drehte sich immer schneller.

Der Starrsinn des spanischen Königs führte schließlich dazu, dass sich vierhundert Adlige alle calvinistischen Glaubens zusammentaten und ein Papier unterzeichneten – den sogenannten ‚Adelskompromiss‘. Diese etwas verwirrende Bezeichnung hat ihren Ursprung wahrscheinlich aus einer französischen Fehlübersetzung. Dort heißt das Papier ‚compromis des Nobles‘ – richtiger wäre wohl ‚Schlichtungsvorschlag des Adels‘.

Der nächste Höhepunkt wurde erreicht im August 1566 mit einem Bildersturm. Calvinisten fielen über katholische Kirchen und Klöster her, plünderten und zerstörten sie. Diese Welle zog sich durch die ganzen Niederlanden bis Ende September.

Felipe II. reagierte, wie er immer reagiert hatte. Er schickt einen Bluthund in die Niederlande, der für Recht und Ordnung sorgen soll, Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von Alba. Margaretha protestiert gegen Alba, doch ohne Erfolg. Sie verlässt im Dezember 1567 Brüssel und kehrt nach Italien zurück.

Mit Sondergerichten und Hinrichtungen kann Alba zwar einige Aufstände beenden, aber er ist willkürlich und rücksichtslos. Die Niederländer, die bisher unkoordiniert und regional begrenzt sich erhoben hatten, stimmen ihre Aktionen ab und somit ergreift der Aufstand das ganze Land.

1568 mit der Schlacht von Heiligerlee beginnt der Achtzigjährige Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien. Erst mit den Friedensverhandlungen 1648 in Münster und Osnabrück am Ende des Dreißigjährigen Krieges, kann dieser Konflikt auch endlich beigelegt werden.

Man darf sich den Achtzigjährigen Krieg nicht als eine dauerhafte Folge von Schlachten und kriegerischen Handlungen vorstellen. Es gab durchaus Jahre in denen keinerlei direkte Auseinandersetzungen stattfanden.

Die Niederländer sind nun organisiert und können Spanien einige empfindliche Niederlagen beibringen. Auch der 1573 neueingesetzte Statthalter Luis de Zúñiga y Requesens, ein Halbbruder Felipes II., ändert daran nicht viel.

1576 formulieren alle siebzehn Provinzen (Gebiet der heutigen Benelux-Staaten) ein gemeinsames Papier, die Genter Pazifikation. Dies ist die letzte gemeinsame Handlung. Schon drei Jahre später schließen sich die französischsprachigen Provinzen zur katholischen Union von Arras zusammen und die nördlichen, vornehmlich calvinistischen Provinzen zur Utrechter Union.

Am 24. Juli 1581 bildeten letztere Provinzen die Republik der Vereinigten Niederlande und erklären in dem Dokument Plakkaat van Verlatinghe ihre Unabhängigkeit von König und ernannten Wilhelm von Oranien zum Statthalter in den verschiedenen Staaten. Die Provinz Holland gilt als treibende Kraft dieses Zusammenschlusses. Dies manifestierte jedoch auch die Trennung zwischen den Generalstaaten im Norden und den Spanischen Niederlanden im Süden.

Willem van Oranje, genannt der Schweiger, wurde im Sommer 1584 von einem Katholiken ermordet, jedoch konnten sich die Generalstaaten sehr schnell auf seinen dreiundzwanzigjährigen Sohn Maurits van Oranje als Nachfolger einigen.

Ab 1590 führte er eine Militärreform in den Streitkräften der Niederlande durch, die die Grundlage späterer Erfolge bildete. Er befreite Geldern und Overijssel von den Spaniern und wurde zu ihrem Statthalter ernannt. Ebenfalls wurden Friesland und Groningen vom spanischen Joch befreit. 1593 eroberte eine große Anzahl an Festungen, wie Zütphen oder Nijmwegen. Die Schlachten von Turnhout (1597) und Nieuwpoort (1600) machten ihn zu einem der erfolgreichsten Feldherren seiner Zeit.

Als im Jahre 1598 Admiral Wybrandt van Warwyck eine Insel im Indischen Ozean entdeckte, nannte sie Mauritius, nach Maurits van Oranje.

Trotz fehlender Rohstoffe und eher unbedeutenden landwirtschaftlichen Produktion gibt es einige interessante Umstände, weshalb die Niederlande so erfolgreich waren: Hoher Verstädterungsgrad; Landflächen sind zum Teil in bäuerlicher Hand; Wirtschaftliche Ausrichtung auf Handel und Seefahrt, nicht auf Landwirtschaft; Gesellschaftlicher Stand wird bestimmt von Ausbildung, Vermögen und Einkommen, nicht Ständeordnung; Religiöse Toleranz; Freiheit der Wissenschaft und Lehre.

Der, im 17. Jahrhundert lebende, englische Botschafter Sir William Temple wird Fleiß und Arbeit als die Grundlagen des Erfolges sehen.

Die 1581 ausgerufene Republik ist nicht als Zentralstaat zu verstehen, sondern als Bündnis souveräner Staaten, die nur in bestimmten Bereichen, wie  der Landesverteidigung und Außenpolitik gemeinsam auftraten. Das höchste Organ waren die Generalstaaten, eine Ständeversammlung. Stärkste wirtschaftliche Kraft besaß die Provinz Holland, die damit auch eine Hegemonialstellung einnahm. Innerhalb der Provinzen dominierten die Regenten der Städte. Dies prägte das Erscheinungsbild der Niederlande als eine städtische Oligarchenherrschaft.

Eine Besonderheit war das Amt des Statthalters, der traditionell aus dem Hause Oranien stammte. Er nahm die Rolle eines Monarchen ein. Dabei kam es immer wieder zu Konflikten zwischen dem Statthalter und den Stadtregenten.

Diese Konfliktsituation schlägt sich auch in der statthalterlosen Zeit zwischen 1650 bis 1672 und später von 1702 bis 1742 nieder. Dabei verzichteten die Provinzen kurzerhand auf die Ernennung eines Statthalters.

Im März 1602 schließen sich mehrere niederländische Kaufmannskompanien zusammen zur Niederländischen Ostindien-Kompanie. Dies ist ein ganz wichtiger Schritt für den Aufstieg der Niederlande – das Goldene Zeitalter der Niederlande.

Die VOC entwickelte sich sehr rasch zu einer der größten Handelsunternehmen des 17. Jahrhunderts und bildet das Vorbild für weitere Handelskompanien in anderen Ländern. Später, 1621, wird für den niederländischen Westafrika- und Amerikahandel noch die WIC gegründet.

In den Niederlanden schuf man weitere Voraussetzungen für einen weltweiten und vor allem einfacheren Handel:

1609 wurde die Amsterdamer Wechselbank gegründet. Ihre Aufgabe bestand darin, den Zahlungsverkehr zu fördern und die vielen unterschiedlichen Währungen auszugleichen. Hier wurde der Bankgulden erfunden, eine Einheitswährung innerhalb des Hauses mit festen Wechselkursen. Man konnte Überweisungen von einem Konto auf das andere vornehmen und so erfand man den bargeldlosen Zahlungsverkehr.

1611 eröffnete die Amsterdamer Warenbörse. Mit dem, ein Jahr später beginnenden Wertpapierhandel, ist sie die älteste Wertpapierbörse der Welt. Die Amsterdamer Börse entwickelte sich zu der wichtigsten Börse des 17. Jahrhunderts.


Eingestellt: 19.04.2015 Wenn Sie aus dem Roman gekommen sind
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Geändert: 19.04.2015