Ein historisches Literaturprojekt

Jorges Heimkehr

Im Sommer 1530 lichtete die São Martiniano den Anker und trat mit Jorge und den meisten Männern der Bauexpedition von 1527 den Rückweg nach Portugal an. Kurz zuvor war eine Abteilung von etwa fünfzig Soldaten angekommen und hatten das Fort São Martiniano, wie es jetzt auch offiziell hieß, übernommen.

Nach vielen Wochen auf See, einem schweren Sturm und einer tagelangen Flaute erreichten sie Lissabon. Jorge, Fernando und der Bauingenieur Miguel Dias erhielten von König João III. hohe Auszeichnungen und eine stattliche Prämie.

Jorge wurde in den Rang eines portugiesischen Grafen erhoben. Er erhielt noch einmal ein Kommando und sollte im März 1533 nach Indien aufbrechen.

Vorher besuchte er aber noch einmal seine Schwester und ihre Familie in Cuéllar. Dort erfuhr er, dass sein Vater kurz nach seiner Abreise nach Santa Júlia verstorben war.

Jorge reiste weiter und es war ihm ein großes Bedürfnis, seinen und den Geburtstag seines Zwillingsbruders Juan in diesem Jahr gemeinsam zu feiern. Sie hatten sich so viele Jahre nicht gesehen. Ihr Bruder Pedro, der Conde de Ureña, war nach Sevilla gereist und konnte so bei dem abendlichen Empfang nicht dabei sein.

Am Nachmittag des nächsten Tages kam ein Bote nach Osuna mit einer schrecklichen Nachricht. Pedro war am Vortag plötzlich verstorben. Der Leibarzt des Kaisers Karl V., auch spanischer König, der ebenfalls in Sevilla anwesend war, konnte sich auf Pedros unerwartetem Ableben keinen Reim machen.

Pedro hatte in den drei Jahren seiner Amtszeit in der Bevölkerung den Ruf eines guten und großzügigen Herrschers erlangt. Nun war die Reihe an Juan, der knapp zwanzig Minuten älter war als Jorge.

Erst im Januar des folgenden Jahres 1532 machte sich Jorge auf nach Lissabon um sein neues Kommando anzutreten. Er teilte sich die Verantwortung über die sieben Schiffe mit dem Kapitän João Pereira. Durch einen Fehler in den Aufzeichnungen, die den großen Brand nach dem Erdbeben von 1755 überstanden, wurde Jorges Name durch den Francisco de Paiva vertauscht und so verschwand Jorges Spur aus den historischen Dokumenten. Ob es sich bei dem Francisco de Paiva um den späteren Gouverneur von Elmina handelt ist jedoch ungewiss.

Gewiss ist jedoch, dass Jorge nach sechs Jahren in Indien und auf See wieder Lissabon erreichte. Er war nun vierzig Jahre alt, sein linkes Auge hatte er bei einem erbitterten Gefecht gegen Einheimische in Indien verloren - und seitdem ihm eine zentnerschwere Kanonenkugel über den rechten Fuß gerollt war, hinkte er.

Jorge quittierte seinen Dienst beim portugiesischen König und kehrte endgültig Osuna zurück. Er wohnte ein halbes Jahr bei seinem Bruder, bis er in der Umgebung von Osuna ein großes Anwesen erwarb. Auf den Empfängen und Festen bei seinem Bruder hatte Jorge die gerade zwanzigjährige Tochter eines Bankiers aus Sevilla, die bei ihrer Tante lebte, kennengelernt. Ein Jahr später heirateten sie und ein weiteres Jahr später erblickte der kleine Pedro Téllez-Girón das Licht der Welt.

An einem Herbstnachmittag im Jahre 1540, als Jorge damit beschäftigt war seine Erinnerungen niederzuschreiben, trat der Hausdiener in sein Arbeitszimmer und kündigte einen Mann an, dessen Namen Jorge unbekannt war. Es stellt sich heraus, dass es sich um einen Bekannten eines alten Freundes handelte. Er richtet einen Gruß von Álvar Núñez Cabeza de Vaca aus. Álvar, sein Freund aus den italienischen Kriegen. Der Mann, der nur um einen Krug Wasser bat und sich selbst Esteban nannte, berichtete über Álvar und sein Schicksal.

Im selben Jahr als Jorge nach Santa Júlia aufgebrochen war, hatte sich Álvar einer Expedition in Florida angeschlossen, die von Pánfilo de Narváez geleitet wurde - demselben Pánfilo de Narváez, der von Cortés in Mittelamerika übertölpelt worden war. Álvar hatte die Aufgabe des Schatzmeisters übernommen. Dies ließ Jorge etwas schmunzeln und er dachte sich, dass die einzig sicheren Schatztruhen, schon immer Álvars Beinkleider waren. Die Expedition war in jedem Falle besser ausgerüstet, als Jorges Unternehmung. Sechs Schiffe und 500 Soldaten hätten die Festung in einem Jahr entstehen lassen.

Die ganze Expedition stand aber unter einem schlechten Stern. Das fing schon auf der Hinreise an, als eines der Schiffe in einem Hurrikan unterging und setzte sich damit fort, dass über hundert Mann bei einem Halt auf Hispaniola desertierten.

Im April 1528 landete die Expedition an Floridas Westküste. Der unerfahrene, aber auch engstirnige Narváez schlug die Bedenken von Álvar in den Wind, teilte die Truppe auf und unternahm eine Landexpedition. Álvar beschwor ihn, die Truppe sei zu schlecht ausgerüstet und die Pferde für das sumpfige Gelände unbrauchbar, weiterhin war die Verpflegung für die Männer nicht ausreichend und schließlich war selbst den Navigatoren noch nicht klar, wo man in Florida denn überhaupt gelandet sei. Doch Narváez wollte es besser wissen und schickte die Flotte voraus, entlang der Küste zu segeln und die Landexpedition irgendwo auf zu nehmen.

Die Truppe traf auf Indianer, die ihnen berichteten, dass der Stamm der Apalachen in einer großen Stadt leben würde – angehäuft mit Gold und Silber. Angestachelt von den Erzählungen zog Narváez ins Hinterland und erreichten sie im September 1528 die vermeintliche Stadt, die de facto nur aus einem kargen Dorf bestand. Weil die Expedition aber keine Nahrungsmittel mehr hatte, beraubten sie die Indianer und marschierten zurück zur Küste. Mehrere Male wurden sie hart von Indianer angegriffen. Die Durchschlagskraft der Pfeile war so enorm, dass selbst die Rüstungen nichts halfen. Die Indianer dezimierten die Truppe, in dem sie Gefangene machten und sie verschleppten.

Als die Spanier endlich die Küste erreichten, war die Flotte aber nicht zu sehen. Sie kamen zu spät. Die Schiffe waren nach langer Suche entlang der Küste nach Veracruz aufgebrochen. Die Habgier hatte Narváez geschlagen. Er kam dann auf den nächsten waghalsigen Plan. Er befahl Boote zu bauen und ebenfalls Richtung Veracruz über den Ozean entlang der Küste zu segeln. Dicht gedrängt saß die Mannschaft in fünf Booten. Mit kaum Lebensmittel und wenig Wasser fuhren sie an der Küste westwärts – Richtung Mexiko. Sie wurden immer wieder von kriegerischen Indianern angegriffen und im Mündungsdelta des Mississippi durch heftige Stürme. Dabei wurden die Boote auch voneinander getrennt.

Álvars Boot und ein weiteres strandeten auf einer Insel. Sie versuchten wieder aufs Meer zu kommen, aber schon in der Brandung wurde das Boot zerstört und drei Männer verloren ihr Leben. Dann wurden sie von Indianern gefunden, aber widererwartend gut behandelt. Dennoch, so berichtete er, hatten die Männer Angst geopfert zu werden.

Narváez war in der Nähe gelandet. Die Männer waren, bis auf ihn, an Land gegangen. In der Nacht kam ein Sturm auf und trieb das Boot mit dem unglücklichen Narváez aufs Meer hinaus. Er war seitdem verschwunden.

Die Männer des fünften Bootes hatten das größte Pech. Sie wurden von einer Horde Indianer gefunden und sofort getötet.

Sie versuchten neue Kräfte zu sammeln, doch viele der Überlebenden starben nun an Krankheiten. Die Nahrung wurde immer knapper und bald waren nur noch fünfzehn Männer übrig. Als dann noch die, in der Nähe lebenden Indianer von den Krankheiten der Spanier befallen wurden, kippte die Nachbarschaftsstimmung. Die Indianer erschlugen aus lauter Hass die Eindringlinge. Álvar war erkrankt und auch dem Tode nah, konnte aber nach seiner Genesung zu einem anderen Indianerstamm fliehen.

Er betätigte sich bald als Kaufmann und Händler und zog von Stamm zu Stamm und bot die unterschiedlichsten Naturwaren an, wie Ockerfarbe, Meeresschnecken, Muscheln oder Tierhäute.

Auf einer dieser Reisen traf er drei Alte Kameraden wieder, die bei einem der Stämme als Sklaven lebten. Um bei seinen Landsleuten zu bleiben, gab Álvar seine Tätigkeit auf und begab sich ebenfalls in die Sklaverei. Sein Plan war mit den Kameraden zu fliehen. Dies wäre aber fast gescheitert, weil die Indianer die Spanier voneinander trennten. Sie begannen ihre Flucht, als die Früchte der Feigenkakteen reiften. Sie wollten sich als Heiler bis nach Neuspanien (Südmexiko) durchschlagen.

Auf ihrer unglaublichen Reise machten sie viele Entdeckungen fremder Tier- und Pflanzenarten. Unzureichende Nahrung ließen sie Feigenkakteenfrüchte essen, aber auch Würmer, Eidechsen und Spinnen. Während sie weiterzogen trafen sie auch auf Bisons.

Die kleine Gruppe hatte binnen kürzester Zeit den Ruf des Besonderen in der Bevölkerung. So kam es sogar dazu, dass bis zu vier Tausend Menschen die kleine Gruppe begleiteten. Sie trafen auf Indianer, die in Pueblostädten lebten. Hier wurde auch intensiv Ackerbau betrieben. Den Spaniern erschien dies als eine sehr wohlhabende Gegend.

Als Jorge bereits drei Jahre in Indien war, erreichte Álvar im Frühjahr 1536 die Pazifikküste und traf auf andere Spanier. Diese Spanier waren aber Sklavenjäger, die im Auftrag der Silberminen Arbeitskräfte beschafften. Als sie sich den indianischen Begleitern von Álvar bemächtigten wollten, schickte er seine indianischen Freunde nach Hause – in  Sicherheit.

Die kleine Gruppe zog weiter. Als sie nach Neugalizien (Westküste Mexikos) kamen, mussten sie feststellen, dass die Landschaft hier völlig entvölkert war. Der regierende Nuño Beltrán de Guzman hatte alle seine Untertanen alle einfangen lassen und als Sklaven an die Silberminen verkauft. Sie zogen weiter und erreichten am 24. Juli Mexiko-Stadt. Bei ihrer Ankunft wurden sie gefeiert wie Helden.

Álvar kehrte im nächsten Jahr nach Spanien zurück und schrieb seine Erlebnisse auf. Er beschrieb auch die Flora und Fauna der durchwanderten Landschaften, zum Beispiel über den Bison, aber auch über die Indianer in den Pueblos. Fatalerweise wurden seine Reiseberichte, ob wohl Álvar sehr nüchtern und wahrheitsgetreu berichtet hatte, so verfälscht, dass aus den Pueblostädten für die Konquistadoren sieben goldene Städte wurden. Zwei verheerende Expeditionen zogen in den folgenden Jahren gehen diese Pueblostädte und zerstörten diese fast.

Als sich Jorge am Schluss der Erzählung nach Álvar erkundigte, sagte Esteban, er sei am Rio de la Plata als Gouverneur der spanischen Krone tätig sei. Jorge bat Esteban, falls er Álvar sehen würde, ihm die besten Wünsche auszurichten und ob er für ihn, Esteban, irgendetwas tun könne. Esteban lehnt höflich aber bestimmt ab und sagte nur, dass Álvar ihm den Auftrag zu diesem Besuch gegeben hätte.

Als die Sonne langsam über dem Horizont sank, verlies Esteban Jorges Haus.

Esteban traf tatsächlich viele Jahre später auf Álvar, als dieser nach einem Staatsstreich in Paraguay in Cádiz  an Land ging. Álvar hat noch bis 1556 in Sevilla gelebt, doch er und Jorge haben sich bis zu ihrem Lebensende nie wieder gesehen.

Am 17. Mai im Jahres 1558 beschloss Jorge im Alter von 64 Jahren sein Leben. Als zwei Tage später sein Bruder Juan ebenfalls starb setzte man beide in einer Gruft in der Kapelle des Heiligen Grabes in Osuna bei. Das Grab existiert heute noch.

Leseempfehlung

Zum besseren historischen Verständnis der Geschichte Portugals und für zusätzliche Informationen empfehle ich Ihnen das Kapitel Zweiter Exkurs in die portugiesische Geschichte.