Ein historisches Literaturprojekt

Elmina

Gute drei Wochen später, am Vormittag des 7. September 1527 kam, nach ereignisloser Überfahrt die afrikanische Küste in Sicht. Fernando stand mit seinem Sehrohr an Deck und suchte die Küste nach markanten Landzeichen ab. Auf einem Tischen neben ihm lag eine ausgerollte Karte der afrikanischen Küste, die mit Steinen in allen vier Ecken beschwert war. Er blickte immer wieder durch sein Sehrohr, dann auf die Karte. Jorge stand unweit von ihm, ebenfalls durch sein Sehrohr blickend. An der palmengesäumten Küste mit weißem Sandstrand konnte man erkennen, wie sich die Wellen brachen.

Der Wind kam mit einer leichten Briese aus Ost, die Meeresströmung aber aus West. Aus diesem Grund hatte Jorge alle Segel bergen lassen und die São Martiniano trieb langsam mit der Strömung nach Westen. Jorge ließ mindestens eine halbe Milha Anstand zu Küste halten. Am Nachmittag ließ der Wind nach und begünstigt durch die anhaltende Strömung entlang der Küste, kamen sie nun etwas schneller voran. „Sind wir hier richtig“, sprach Jorge Fernando an, der mit einem Finger auf der Landkarte, in der anderen Hand das Sehrohr, die Küstenlinie verglich.

Elmina im Jahre 1575 von Frans Hogenberg (idealisierte Darstellung)

„Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns westlich des Cabo Três Pontos befinden. Wir fahren nach Osten und somit in die richtige Richtung.“ Fernando blickte zum Himmel, „ich schätze das Cabo wird spätestens morgen in Sicht kommen. Diese Landmarke ist sehr eindeutig.“

„Das heißt, wir sollten heute Abend ankern“, fragte Jorge zurück und fügte an, „bei dem Gedanken ist mir nicht wohl. Die Küste ist mir zu gefährlich. Mir wurde von Überfällen auf Schiffe berichtet.“

„Wenn wir wieder eine wolkenlose Nacht haben, sehe ich keine Notwendigkeit zu ankern“, antwortete Fernando und blickte mit seinem Sehrohr Richtung Osten, „aber wenn es zu dunkel ist, könnten wir an dem Cabo zerschellen.“

„Was ist das Cabo Três Pontos eigentlich“, fragte Jorge.

„Eine sehr auffällig Landmarke“, antwortete Fernando setzte das Sehrohr ab und zeigte Richtung Küste, „Du siehst jetzt nur gerade Strände und Palmen. Bevor das Kap der drei Spitzen in Sicht kommt, ändert sich die Landschaft zu kleineren und mittleren Buchten mit Sandstränden. Und dann springt eine große Halbinsel weit ins Meer, die drei deutliche Landspitzen hat. Sie liegen etwa je eine Milha auseinander.“ Fernando wies mit seinem rechten Zeigefinger auf die Karte. Dort konnte man deutlich die große Halbinsel mit den drei Spitzen erkennen.

Gegen Abend flaute der Wind völlig ab. Die Strömung trieb das Schiff immer noch weiter gen Osten. Glutrot sank die Sonne an einem wolkenlosen Himmel in den Atlantik.

„Da vorne“, rief Fernando plötzlich. In der Ferne sah man, die die Küste einen großen Bogen nach Süden machte. Würde die  São Martiniano ihren Kurs noch einige Milhas beibehalten, würde sie dort auf Grund laufen. Der Steuermann João Camões hatte in der letzten Stunde schon mehrmals den Kurs nach Süden korrigiert, auch um wieder in die Westströmung zu kommen.

Jorge blickte zum Himmel. Der Mond war zwar bereits aufgegangen, doch es würde noch gute eine Woche dauern bis zum Vollmond. „Willst Du ankern, Fernando?“

„Wir fahren besser weiter. Einverstanden", fragte Fernando zurück und Jorge nickte, „João! Halt Dich weiter von der Küste fern. Mehr Süd!“

Der Steuermann änderte den Kurs. Das Glutrot des westlichen Himmels färbte sich dunkelrot und die Konturen der Küste schwanden in ein blaugrau. Fernando hatte das Sehrohr schon lange beiseite gelegt und blickte angestrengt auf die vorbeiziehende Küste. Hin und wieder konnte man ein Feuer ausmachen. Die Küste war schon seit Jahrhunderten besiedelt, dass mussten die ersten portugiesischen Seefahrer vor über 50 Jahren feststellen.

Am nächsten Vormittag, es war der 10. September 1527 ließ Jorge vor Elmina Anker werfen. Nach gut zwei Stunden betraten er und Fernando die Festung São Jorge da Mina. Der portugiesische Gouverneur Manuel de Faria de Sousa empfing die beiden Landsleute mit erhabener, aristokratischer Verachtung.

Nachdem Jorge sein Anliegen vorgetragen hatte, musterte der Gouverneur ihn. Jorge hatte ihm ganz bewusst verschwiegen, dass er finanziell recht gut ausgestattet war. Er war sich nicht sicher, ob man dem Aristokraten trauen könnte. Diese natürliche Vorsicht war nicht ganz unberechtigt.

„Und wie gedenkt Ihr die Waren zu bezahlen“, formulierte der Gouverneur.

„Seht, edler Herr“, begann Jorge übertrieben unterwürfig, „wir haben nur bescheidene Mittel zur Verfügung. Als diese prachtvolle Festung gebaut wurde, waren die finanziellen Zuwendungen des Königs deutlich größer.“

Jorge kannte die Geschichte Elminas. Er wusste, dass Diogo de Azambuja mit einem Duzend Schiffe, fast 600 Soldaten und 100 Bauarbeitern nach Elmina kam, um die Festung zu errichten. Ihm selbst stand nur ein Schiff zur Verfügung und 40 Mann – wenn er sich mitzählte.

„Ich werde sehen, was ich tun kann. Doch es wird nicht leicht. Die Preise sind gestiegen und werden weiter steigen“, orakelte der Gouverneur und strich sich mit einer exotischen Feder, mit der er schon die ganze Zeit spielte, über die Wange.

„Ich danke Euch von ganzem Herzen. Ihr werdet erlauben, dass ich Euch als ausgesprochen kooperativ in meinem Roteiro erwähne und Eure Großzügigkeit besonders herausstellen werde?“

Huldvoll lächelte der Gouverneur de Sousa und nickte leicht.

„Ich hoffe“, fuhr Jorge fort, „dass Ihr nichts dagegen habt, wenn wir uns hier ein wenig umsehen. Man hat ja nicht oft die Gelegenheit, den wichtigsten Stützpunkt der portugiesischen Armada, dessen Geschicke Ihr lenkt, bestaunen zu dürfen.“

Das huldvolle Lächeln viel noch etwas huldvoller aus und das Nicken war jetzt auch für andere Personen im Raume wahrnehmbar.

Sich verneigend traten Jorge und Fernando je zwei Schritte zurück, zogen die Hüte, drehten sich, wie einstudiert, um und verließen im Gleichschritt den Raum durch die Doppelflügeltür auf den Hof.

Fernando grinste über das gesamte Gesicht und Jorge fragte ihn, was ihn so amüsieren würde. Da prustete er los, „dessen Geschicke ihr lenkt! Das war eine beachtliche schauspielerische Leistung.“

„Solch wohlgeborene Herren möchten, dass ihre zweifelhaften Leistungen bewundert werden. Jetzt ist er beruhigt, hat aber nicht bemerkt, dass er uns auf den Leim gegangen ist“, sagte Jorge und Fernando fragte zurück, „Leim gegangen?“

„Ich werde den Verdacht nicht los, wenn wir alle Waren über ihn kaufen, wir seine Schatulle auch anreichern werden. Ich habe nicht vor ihn zu alimentieren“, erklärte Jorge. Fernando sah ihn fragend an.

„Wir werden nur einige wenige Sachen über den Gouverneur de Sousa besorgen. Wir sehen uns in der Stadt um, vielleicht finden wir einen vertrauensvolleren Händler. Es soll seit ein paar Jahren einen Spanier hier geben. Den werden wir suchen. Er soll Francisco oder Franco oder so heißen.“ Fernandos Gesichtsausdruck wechselte von fragend zu zustimmend.

Jorge sollte Recht behalten. Schon am Abend fand er den Kaufmann, er hieß Francesco Seminario. Jorge und er stellten fest, dass sie beide in Osuna aufgewachsen waren. Jorge als Sohn des Conde von Ureña und Francesco als Sohn eines kleinen Händlers. Jorge bot ihm einen guten Verdienst an und erklärte ihm sein Dilemma, in der Hoffnung in dem Landsmann einen vertrauenswürdigen Partner zu finden. Er sollte nicht enttäuscht werden.

Da die São Martiniano vor Elmina ankerte, mussten alle Waren mit Booten herangebracht werden. Jorge hatte den Plan, dass alle offiziell gekauften Waren mit Booten zu der Schiffsseite gebracht werden sollten, die dem Fort zugewandt war. So konnte jeder beobachten, was geladen wurde. Die Waren von Seminario wurden in den Nachtstunden auf der anderen Seite an Bord gebracht. Durch einen weiteren Anker am Heck hatte Fernando sichergestellt, dass sich die São Martiniano immer in der gleichen Position blieb.

Francesco hatte Jorge über die Praktiken des Gouverneurs aufgeklärt und dass es fast jedem so ergeht. Der Gouverneur ließ die Händler Elminas, denen er wohlgesonnen war, ihre Waren im Hof des Forts anbieten. Dabei wusste jeder Verkäufer, dass er die Hälfte aufschlagen musste, denn so viel beanspruchte der Statthalter des Königs für sein Wohlgesonnensein.

Am Tage wählten Jorge und Fernando bedächtig und nur sperrige Waren, wie Bauholz aus. Ihr geheimer Geschäftspartner war auch darunter. Seine Waren bot er dann und wann günstiger als die Konkurrenz an und erhielt von Jorge auch sofort den Zuschlag. So konnte man die im Hof des Forts eingekauften Waren und auch einen großen Teil der anderen Waren unter den argwöhnischen Augen des Gouverneurs und seines Zahlmeisters an Bord schaffen.

Am dritten Tag nahm Seminario Jorge in einem günstigen Augenblick zur Seite, „Jorge, der Gouverneur wird misstrauisch. Der Zahlmeister fragte mich, warum ich schon vier Mal den Zuschlag erhalten hatte und andere nur einmal.“

„Weil Ihr unbeschreiblich günstig seid, lieber Francesco.“

„Das erklärte ich dem Zahlmeister des Forts auch. Ich bin mir sicher, er schöpft Verdacht.“

„Ja, ich habe aber auch den Eindruck. Wir haben bald alles zusammen. Morgen werden wir nach dem Beladen sofort in See stechen. Ich möchte weder den Zahlmeister, noch den Gouverneur hier an Bord haben.“

„Und wenn er an Bord will …“

„… bin ich der Kapitän des Schiffes. Er ist der Gouverneur des Forts“, antwortet Jorge sehr nachdrücklich.

Am nächsten Morgen fuhren Jorge und Fernando, wie in den Tagen zuvor von der São Martiniano in einem der Beiboote zur Festung. Das tägliche Ritual nahm seinen Lauf. Wieder waren Händler im Hof und boten Ziegen, Hühner, Fisch, Früchte, Salz, Bauholz, Gold und viele andere Dinge an.

Etwas provozierend fragte der Zahlmeister Jorge, „wo ist denn Euer Landsmann mit den unverschämt niedrigen Preisen?“

Jorge zuckte mit den Schultern, „vielleicht ist er daran bankrott gegangen!“

Das böse Gesicht des Zahlmeisters blieb Jorge noch lange nach diesen Begebenheiten in Erinnerung. Genau zu diesem Zeitpunkt waren sie sich sicher, dass man Elmina verlassen sollte. Von Francesco hatten sich die beiden schon am Vorabend verabschiedet. So würde auf ihn kein unnötiger Verdacht fallen.

Nach dem Feilschen und Kaufabschluss, in einem unbeobachteten Moment, raunte Fernando dem Händler, der den Zuschlag erhalten hatte zu, er möge umgehend zu São Martiniano übersetzen und seine Waren abliefern. Und während Fernando weiter laut die Anzahl der Gold-Real-Münzen in die gegerbten Hände des älteren Manns zählte, legte er mehrere Male zwei Münzen statt einer ab. Erst zur Verwunderung, nach dem Blick in Fernandos Gesicht, mit selbstverständlich wirkender Miene.

Als der Zahlmeister den Bezahlvorgang wieder genauer verfolgte, machten die beiden, einen völlig natürlichen Eindruck und waren jedoch schon längst Verbündete.

„Gouverneur“, sagte Jorge, als man am Tisch zu einem kleinen Mittagsmahl saß, „ich möchte Euch um Erlaubnis bitten in ein oder zwei, höchstens aber in drei Monaten wiederkommen zu dürfen.“

„Wollt Ihr uns schon verlassen“, fragte der Zahlmeister dazwischen.

„Gerne dürft Ihr uns wieder besuchen, edler Téllez-Girón“, antwortete der Gouverneur.

„Werdet Ihr heute in See stechen“, fragte der Zahlmeister erneut.

„Ihr seid ein wunderbarer Gastgeber und erinnert mich an Señor de Cuéllar“, umgarnte Jorge.

„Habt Ihr denn alles verstaut“, hakte der Zahlmeister nach.

„Meint Ihr Diego Velázquez de Cuéllar“, fragte der Gouverneur wissbegierig nach.

„Ist Euer Schiff denn schon seetüchtig“, der Zahlmeister ließ nicht locker.

„Ja, habe ich Euch nicht von meiner Reise nach Hispaniola erzählt“, fragte Jorge zurück, ohne den ständig fragenden Zahlmeister eines Blickes zu würdigen.

„Ich muss aber die Ladung kontrollieren“, der Zahlmeister wurde ungeduldig.

„Ihr ward auf Hispaniola“, fragte der Gouverneur sichtlich aufgeregt.

„Ich habe den Eindruck, da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu.“

„War ich so nachlässig und habe nicht davon berichtet“, fragte sich Jorge selbst und schüttelte dabei den Kopf.

„Ich möchte an Bord Eures Schiffes und …“

„Zahlmeister, Ihr unterbrecht unserer Gast in seinen wundervollen Ausführungen. Kann Eure Krämerseele sich nicht im Zaume halten?“

„Aber …“, stotterte der Zahlmeister.

„Nichts ‚aber‘. Schweigt stille, es hat alles seine Ordnung, lieber Téllez-Girón, fahrtfort Ihr wolltet von Diego Velázquez de Cuéllar berichten.“ Der Gouverneur hatte am Ende einen  sanft-freundlichen Ton gefunden. Der Zahlmeister schwieg, biss sich aber sichtlich auf die Lippen.

Jorge erzählte irgendwelche Geschichten über de Cuéllar, ob sie alle der Wahrheit entsprachen oder nicht, spielte bei dieser Unterhaltung keine Rolle. Jorge und Fernando wollten nur Zeit schaffen für den Händler, der seine Waren an Bord brachte und der eigenen Mannschaft sie zu verstauen und das Schiff seeklar zu machen. Diego Velázquez de Cuéllar war eine der tragisch, heroischen Gestalten in Amerika. Bekannt wurde er, nicht nur in Spanien, durch die Gründung der ersten Stadt auf Kuba, sondern auch durch seine Expeditionen nach Mittelamerika und dem Gold der Azteken. So rankten sich einige Legenden um diesen Mann. Jorge bereicherte diesen Legendenschatz in der Mittagsstunde dieses 18. September um noch ein paar weitere – erfundene Details.

Am frühen Nachmittag verabschiedeten sich die Herren voneinander. Der Zahlmeister, gebändigt von seinem Gouverneur, war zahm wie ein Lamm und wünschte ebenfalls eine angenehme Reise. Man wünschte sich Glück und ein baldiges Wiedersehen.

Kaum eine halbe Stunde später setzte die São Martiniano Segel und fuhr bei mäßigem Westwind Kurs Süd auf den offenen Atlantik.

Es sollten fast vier Wochen vergehen, bis sie den Breitengrad von Santa Júlia erreichten. Die gesamte Rückfahrt war deutlich unruhiger als die Hinreise. Jorge und Fernando waren sich sicher, weit nach Westen abgetrieben worden zu sein und so entschieden sie sich den Breitengrad Richtung Ost entlang zu segeln und irgendwann müsste Santa Júlia schon auftauchen.

Und tatsächlich, am übernächsten Tag tauchte am östlichen Horizont eine Insel auf. Nach wenigen Stunden war es sicher, sie waren zurück auf Santa Júlia.


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Eingestellt: 25.07.2014
Geändert: 19.04.2015
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