Ein historisches Literaturprojekt

Thomas Evertsen

Er war als vierter Spross einer aristokratischen Familie aus Leiden am 27. Mai 1577 zur Welt gekommen. Schon sehr früh interessierte er sich für die Natur und mitunter tagelang Tiere beobachten. Seine älteren Brüder verstanden sich, wie der Vater, mehr auf das Kaufmannsgewerbe. Thomas hatte mit sechzehn Jahren den Weg eines calvinistischen Geistlichen eingeschlagen und ging in dieser Rolle voll auf. Seine naturkundlichen Studien betrieb er parallel dazu. Mit gerade fünfundzwanzig Jahren war er auf der Amstelveen nach Nieuw-Texel gekommen und hatte für sich schon früh beschlossen bis zu seinem Lebensende zu bleiben.

Auf seinen Wanderungen machte Evertsen eine Reihe Notizen, die er später in einem kleinen Buch mit dem Titel „Volledige beschrijving van het eiland Nieuw-Texel, met al zijn lanschappen, dieren en planten” („Vollkommene Beschreibung der Insel Neu-Texel mit all seinen Landschaften, Tieren und Pflanzen“) zusammenfasste. Hier ein paar Auszüge aus einer späteren deutschen Übersetzung:

Ich habe bei mir gedacht, daß es ein guther Rath wär, die Eindrücke, so lange sie frisch und stark sind, niederzuschreiben. Dies wär besser, als wenn ich mich erst daran gewöhnt hab und dann versuche das für mich Alltägliche für den Leser in schöne Worte zu kleiden.
Zu dieser Überzeugung bin ich aber erst gelanget, als ich schon ein paar Monate auf dieser doch merkwürdigen Insel gelebet habe.
So will ich die Eindrücke der Landung nun darlegen, so wie sie sich mir offenbaret und gezeiget haben.
Am Morgen des Sechzehnten Februari 1603 zeigte sich Nieuw-Texel im nebligen Gewande, scheu ihren neuen Besuchern gegenüber. Wir näherten uns von Westen um in die große Bucht einzufahren (Groote Baai).
Als die Sonne den Nebel durchbrach und die Insel beschienen ward, war ich überrascht, wie von leuchtendem Grün die Bäume und Sträucher sind. Man konnte Strände aus hellem Sande wahrnehmen, die sich abwechselten mit dunklen Felsen an denen sich die Brandung bracht. Dahinter standen Wälder mit hohen mir unbekannten Bäumen.

Als wir auf die Insula herzufuhren, berichtete mir einer der erfahrenen Seeleute von der Insula Santa Helena, nur eine Tagesreise entfernt ist. Die Insula sieht aus wie ein grob behauener Klotz, der aus den Wassern des Meeres ragt. Ganz anders hier. Nieuw-Texel steigt langsam an und hat vier deutliche Erhebungen im nördlichen Theil.
Der südliche Theil besteht aus der benannten großen Bucht, die von einer langen Landzunge im rechten Winkel von Osten und Süden umstanden ist. Die große Bucht ist vortrefflich rund geraten und mißt gute zwei Meilen im Diameter. Weil die seitlichen Anhöhen, die bis auf vierzig Ruten hoch gehen mögen, vorhanden und stattlich bewaldet sind, bietet die Bucht einen hervorragenden, geschützten Hafen und guten Ankerplatz.

Die beachtlichste Erhebung im nördlichen Theil nennt man den Herenberg. Eine Amsterdamer Meile davon entfernt in westlicher Richtung erhebt, im Zentrum des nördlichen Theils, der Oranjeberg, der nur zehn Ruten kleiner ist. Beide Erhebungen bestehen aus sichtbarem dunklem Fels und stehen frei von jedwedem Bewuchs. Der Herenberg möcht um die einhundertachtzig Ruten hoch sein. Die anderen beiden Erhebungen heißen Compagnieberg und der Prinsenheuvel. Der erstere liegt ganz im Osten und hat nur ein baumloses Plateau; der zweite liegt im Nordwesten und ist völlig mit Bäumen bestanden und nur gute hundert Ruten hoch.

Unterhalb der Erhebung des Herenberg tritt ein kühles Quell ans Tageslicht. Die Portugieser hatten sie schon mit einem Quellhaus eingefaßt und Martinianus-Quelle genennet. Zur Portugiesier Zeit hieß der Bach, der dort entspring und bei der Feste ins Meer fließt, Rio Sao Martiniano. Ebenso wurd die Feste Fort Sao Martiniano genennet, so erzählet mir ein alter gutgedienter Soldat, der vor zwey Jahren hier gefochten hatte. Leider lebet keiner der Portugiesern hier mehr. Sie wurden alle sambt fortgeschafft.
Warum die Portugiesen den Heiligen Martiniano so oft verehren, ist mir bis dato unbekannt. Es möcht seyn, daß die Portugieser am Hochtag des Heiligen Martiniano und Processo hier anlandeten. Einen Beweis für dies habe ich im Schlußstein über dem Thor der Festung gefunden. Hier ist ein Skorpion abgebildet. Gerade die Spezies mit denen die beiden Heiligen von ihren Peinigern gefoltert wurden, um sie von ihrem Glauben abschwören zu lassen. Doch die beiden waren standhaft und starben als Märtyrer. Was aber der Grund für Martiniano ist, sollte bey Zeiten gekläret werden. Das Flüßchen werdet jetzo Amstel von den Soldaten genennt.
Bey dem Oranjeberg entsprinegt ebenfalls ein Quell, den ich auf meinen Wanderungen fand. Nach kurzem Fließen stürzt das Wasser zwey Ruten tief herab, bildet ein Bassin und fließet dann weiter gen Westen. Da dies keinerley Namen hat und sich auch keiner der Soldaten an einen Namen der Portugieser erinnert, hab ich es den westlichen Bach getauft (Westlijk Beek). Auf halber Streck, grad auf einer großen Lichtung, kommt dann von Norden ein weiteres Flüßchen. Da dies kein ebenso keinen Nam hat, tauft ich es den nördlichen Back (Noordlijk Beek). Die Wasser des westlichen Bachs schwellen dadurch vortrefflich an und strömen machtvoll in einigen Biegungen zum Meer in einen kleine Bucht.

Dem aufmerksamen Betrachter wird bei einem Blick auf die Karte auffallen, daß die große Bucht recht rund geformet sey. Man sieht dererley Formung bei den Feuerbergen, die auch Vulcanos genennet werden, so hatte ich einem Buche vor Jahren gelesen. In einem vortrefflichen Bericht über die Reyse eines Leydschen Kaufmanns im Süden Italiens wird berichtet von einem hohen Berge bei Napoli, dem Vesuvio, dem die Spitz zum großen Theil fehlet. Eine ebenso vortreffliche Abbildung bekam ich hiernach zu sehen und erkenn gewisse Ähnlichkeiten. Es mag sein, daß es hier ein kleiner Feuerberg ist, der schon gar lang verloschen und erkaltet sey. Die große Bucht könnt grad hiernach der Feuerschlund seyn. Da im Westen ein großes Stück des Berges abgebrochen ist, wird gar das Wasser mit Macht eingedrungen seyn und den Schlot zum Erkalten gebracht haben. Daß muß aber schon lang her seyn, weil auch die Portugieser nichts von feuerspuckenden Bergen berichtet hatten oder anderen absonderlichen Tätigkeiten.

Die Insula Nieuw-Texel ist bey Weitem die größte der Juliana-Insulas. Sie mißt von der Einfahrt zur großen Bucht bis zum nordöstlichen Rand, dort wo die beiden Felstürme, die Tweelingspits aufragen, gute acht Amsterdamer Meilen. Von der Nordwestspitze bis in die Fischbucht sind es aber nur gute sechs Meilen.

Das Wetter ist hier immer sehr heiß. Die Sonne steht jeden Tag hoch am blauen Himmel und brennet mit aller Macht hernieder. Aber es geht immer ein guter Wind, der meist von Westen kommet Kühlung bringt. Immer am Tagesanbruch hüllt sich die Insula in ein mehr oder weniger dichtes Nebelgewand. Am Nachmittag regnet es jeden zweyten Tag, aber nur kurz, aber wasserreich.

Der Wald ist sehr dicht und schwer zu durchdringen. Die Arthen der Bäume sind heroft unbekannt. Ich habe schon einige der Natur treu gemalten Zeichnungen erstellt. Es gibt auch bekannte Bäume, wie die Palmeiras, die Früchte haben, die so groß sind wie der Kopf eines Kindes. Die Palmeiras stehen überall, wachsen haushoch und dicht beieinander. Wenn ein starken Wind weht, biegen sie sich furchterregend bis fast zum Boden, aber ohne zu brechen. Dann gibt es auch wieder ganz flache Sträucher mit gewaltigen Blättern. Bis zu Bäumen, die ähnlich unserer Fichte sind.

Auf meinen Wanderungen habe ich immer wieder kleine Pfade nutzen können. Es drängt sich der Eindruck auf, als wär die Insula von Menschen überall bewohnet. Doch bey genauem Betrachten würd ein Mensch mit seynem Gewicht die Pflanzen auf dem Boden zerquetschen und die blanke Erd käm zum Vorscheine, doch hier sind die Halme nur geknikt. Diese Merkwürdigkeyt machet ein Huhn, das nicht viel größer als die Kapaunen sind. Es läuft fortwährend dies selben Wege und knikt dabei die Halme, ein manches Mal sogar mit dem Schnabel. Sie leben sehr scheu im Unterholz und man sieht sie bey tag kaum. Sie verharren in einer Art totenähnlichen Starre, bis man sich ihnen zu sehr nähert. Dann springen sie auf und fliehen noch tiefer in den Wald. Die Portugiesen, so konnte ich in Erfahrung bringen, nennen sie Julia-Hennen und hatten sie viel und oft bejaget. Aber aus dem Schicksal ihrer Ahnen, scheinen die Hühner zum Schluß gelernt zuhaben und sind auf der Huth.
Es gibt keine größeren Tiere, die man bejagen könnt. Angeblich soll vor vielen Jahren eine trächtige Ziege den portugiesischen Soldaten entlaufen sein. Des Nachts hört man dann und wann ein absurdes Meckern aus dem Wald. Dies hört sich aber eher nach dem Zetern eines alten Weibes an. Die Soldaten raunen sich dann die furchterregendsten Schauergeschichten zu, so daß manch jüngerer Pikenier die Nacht über schaudernd wachgelegen hat.

Die kleinere Fischbucht im Osten hat gerade mal eine Meile und ist gen Süden dem Meer geöffnet. Wie in den Niederlanden kann man auch hier Ebbe und Flut feststellen, wobei höchstens drei Fuß dazwischen zu messen ist.

Eine Unzahl von seltsamen und merkwürdigen Vögeln bevölkert die Insel. Ihr Gezwitscher erfüllt den Wald und läßt das Herz sich wohler fühlen. Auch Tauben fliegen zwischen den Felsen umher. Sie sind grad so wie wir sie kennen. Ein Soldat der oft die afrikanische Küste befuhr konnte eine Vielzahl der Vögel benennen und wußte um deren Schmackhaftigkeit. Er berichtet auch, daß er eine Vielzahl der Bäume, Sträucher und Blumen auch schon dort gesehen hatte.

In Summa habe ich mein Locus Amoenus gefunden. Oft zwischen den Andachten und der Vorbereitung einer Predigt durchstreife ich in den Wald und ergötze mich an der natürliche Stille. Wenn der Wind durch die Bäume streicht und all die Geschöpfe unseres Herrn ihre Stimme erschallen lassen. Das ist ein wahrer Schatz.

Dies ist nur ein kleiner Abriss seiner Aufzeichnungen.

Thomas Evertsen wird im November 1651 sterben und in der kleinen Kirche auf Nieuw-Texel, die er kurz vor seinem Tode gegründet hatte, beigesetzt werden. Dort ruhen seine sterblichen Überreste noch heute.