Ein historisches Literaturprojekt

Nieuw-Texel

Als am 20. März 1602 im niederländischen Middelburg die Gründung der VOC beschlossen wurde, wurde auch festgelegt, dass die, von der Verenigde Compagnie Amsterdam im Vorjahr eroberte Insel Santa Júlia als Zwischenstation auf dem Seeweg nach Indien genutzt werden sollte. Gleichzeitig legte man fest, dass die Insel Nieuw-Texel und das Fort Willem van Oranje heißen sollte. Mit diesen Vorschlägen umging Johan van Oldenbarnevelt, der Initiator der Kompanievereinigung, mögliche Streitigkeiten. Er hatte die Konkurrenzsituation zwischen den selbsttätig operierenden Handelskompanien mit Unverständnis beobachtet. Schlussendlich hatten doch alle Kompanien dasselbe Ziel und dieselben Kontrahenten – Spanien, Portugal und auch England. So wurde die erste Aktiengesellschaft der Geschichte gegründet mit einem Stammkapital von 6,4 Millionen Gulden, was einer ungeheuren Summe entsprach. Fast zwei Drittel des Stammkapitals stellten Kaufleute aus Amsterdam, ein Fünftel Kaufleute aus Middelburg und die restlichen Anteile verteilten sich auf Kaufleute aus den Städten Hoorn, Enkhuizen, Delft und Rotterdam. Die Vereenigde Oostindische Compagnie, kurz VOC genannt, war weitestgehend dezentral organisiert, mit einem zentralen Geschäftsführungszirkel, den Heren XVII (niederl. Siebzehn Herren), deren Zusammensetzung die Anteile der Kammern in den beteiligten Städten widerspiegelten.

Während man die ersten Expeditionen nach Ostasien vorbereitete und ein Artilleriearsenal in Amsterdam als Lagerhaus anmietete, machte man sich auch Gedanken über die Aufgaben von Nieuw-Texel.

Aus einem Protokollausriss der Amsterdamer Kammer geht hervor:

...

12. Nieuw-Texel.
Kommandant Adriaan Isbrantsz wird die Führung des Forts Willem van Oranje übertragen. Er soll das Fort befestigen und wehrhaft machen. Er soll eine Werft, einen Hafen und Lagerhäuser errichten. Hier sollen die Schiffe der VOC Schutz finden und Reparaturen durchgeführt werden können. Er erhält die Galeone Amstelveen mit Besatzung. Dazu erhält er zwanzig Soldaten, ein Bauingenieur, drei Zimmerleute, zwei Schmiede, ein Koch, drei Bauern, fünf Bauarbeiter und viertausend Gulden. Er soll alles Notwendige mitnehmen, wie Bauholz, Ziegelsteine, Mörtel, Segeltuch, Pech, Eisen, Nägel, Werkzeuge, Rammen, Kanonen, Munition, Musketen, Vorräte, Wein, Bier im Wert von höchstens zehntausend Gulden.

...

Was Adriaan Isbrantsz alles in den Bauch seiner neuen Amstelveen gepackt hat, ist im Einzelnen nicht überliefert. Aber schon aus diesem Protokoll geht hervor, dass er die volle Unterstützung der Amsterdamer Kammer hatte.

Als er am 3. September 1602 in Amsterdam in See sticht, liegt eine gefährliche Reise vor ihm und seiner 300 Mann starken Besatzung. Das Schiff war alleine unterwegs, was zur damaligen Zeit eher selten war. Die Reise führte durch den Ärmelkanal, wo Franzosen oder Engländer den niederländischen Schiffen nachstellten – je nachdem, ob man gerade Freund oder Feind war, das änderte sich unter Umständen sehr schnell.

Dann ging es südwärts vorbei an der Küste und den Stützpunkten der Portugiesen und Spanier, auch dort lauerte Gefahr. Die Niederlande hatten sich in den letzten Jahren zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für sie entwickelt. Aber das einzige nennenswerte Ereignis auf der viermonatigen Fahrt, war ein kurzer heftiger Sturm kurz vor den Kanarischen Inseln.

Zweimal sahen sie in der Entfernung ein paar portugiesische Naos, doch man nahm weiter keine Notiz voneinander – oder wollte keine Notiz nehmen.

Am Abend des 16. Februar 1603 warf die Amstelveen in der Grote Baai, so wie die große Bucht inzwischen genannt wurde, den Anker.

Die knapp fünfzig Männer im Fort hofften, dass dies endlich die ersehnte Ablösung wäre. Doch da musste Isbrantsz die Besatzung enttäuschen. Er brauchte jetzt jeden Mann für den Bau der Werft und der Magazine. Aber dennoch gestattet er ein großes Fest. Es wurde kräftig getrunken und gezecht.

Trotz eines leichten Katers stand Kommandant Isbrantsz mit dem Bauingenieur Jan van Dijk am nächsten Morgen am Strand und planten grob die Umrisse der zu errichtenden Gebäude und Anlagen. Van Dijk hatte sich schon in Amsterdam Gedanken über die Konstruktion gemacht und Erkundigungen über den Baugrund eingeholt. Es stellte sich heraus, dass möglicherweise noch schwieriger wurde, als befürchtet. Die Niederländer hatten in den letzten Jahrhunderten sehr viel Erfahrung mit Hafen- und Wasserbau gemacht und beherrschen ihr Handwerk ohne Gleichen.

Das Ausladen des Schiffes machte erheblich Mühe. Besonders die große Menge an Bauholz machte den Männern zu schaffen. Pfahl für Pfahl wurde von Bord gehievt und paarweise mit den Beibooten an Land gerudert und dort ordentlich aufgestapelt. Andere Männer waren damit beschäftigt die Vorräte ins Fort zu bringen und Unterkünfte für die restlichen Mannschaften im Hof des Forts zu errichten. Jorge Téllez-Girón hatte das Fort für über zweihundert Mann Besatzung gebaut und jetzt sollten über dreihundert hier leben. Es wurde an jedem nur erdenklichen Platz Zelte und Barracken aufgestellt. Selbst auf der breiten Mauer standen einige Behausungen. Es sollte niemand außerhalb des Forts schlafen müssen, dass hätte nur unnötige Unruhe gebracht, da waren sich Isbrantsz und van Dijk einig.

Das Entladen dauerte fast eine Woche. Der Stauraum der niederländischen Galeonen hatte schon für damalige Zeiten enorme Ausmaße. Diese Schiffe waren für den Warentransport und die Verteidigung der Waren konzipiert worden.

Als Nächstes stellten die Bauarbeiter östlich, also auf der anderen Seite des Flusses Ramme auf, die sie aus den Niederlanden mitgebracht hatten. Die Ramme bestand aus einer Art Pyramide aus Balken. An der Spitze war eine Umlenkrolle angebracht über die ein kräftiges Tau führte. An der kurzen Seite des Taus, also unmittelbar an der Pyramide hing in einer Führung ein schweres Gewicht. Die andere Seite des Taus war wesentlich länger. Die Pyramide stand am Strand, wenige Schritte von der Wasserlinie entfernt. Die Bauarbeiter zogen das Gewicht an dem langen Ende des Taus in die Höhe, andere positionierten den angespitzten Pfahl unter das Gewicht und dann ließen die am längeren Ende des Taus standen los. Das Gewicht prallte mit einem dumpfen Schlag auf den Pfahl und trieb ihn mühelos um die Länge eines Fußes in den Boden.

So wurde der erste Pfahl der zukünftigen Kaimauer am 24. Februar 1603 in den Boden der Insel Nieuw-Texel getrieben. Isbrantsz hatte das Datum in seinem Berichtsbuch für die Kompanie festgehalten.

Van Dijk wurde schnell klar, dass man die Festigkeit des Bodens unterschätzt hatte. Nach gut zwei Klaftern erreichte man schon festen Grund. Er hatte mit mindestens mit vier Klaftern gerechnet. Das bedeutete aber, dass man die mitgebrachten Pfähle alle halbieren konnte und so dass man die doppelte Anzahl hätte. Der erste Pfahl steckte mit seiner vollen Länge von fünf Klaftern im Sand. Über Mannshoch ragte er auf. Wichtig war, dass die Pfähle unter der gesicherten Wasserlinie endeten. Schon die Römer, die ihre Wasserbauwerke ähnlich gebaut hatten, hatten erkannt, dass nur ein vollständig mit Wasser bedeckter Pfahl sehr lange seinem ungewohnten Element widerstand. Pfähle, die immer wieder aus dem Wasser ragten, also ständig nass und wieder trocken wurden, verfaulen viel schneller.

Den nächsten Pfahl ließ van Dijk auf zwei Klafter kürzen, die Ramme versetzen und wieder begann die mühselige Arbeit. Und nachdem eine Art Verlängerung auf dem Pfahl saß, um den unteren tiefer in den Boden zu treiben, konnte van Dijk mit Zufriedenheit feststellen, dass die von ihm angenommen Länge richtig war.

Ab diesem Tag war das Hämmern der Schlagramme jeden Tag zu hören und auch zu fühlen.

So wurde Tag für Tag, Pfahl neben Pfahl gesetzt – immer weiter in Richtung Meer. Beim elften Pfahl musste schon eine Hilfskonstruktion gebaut werden, damit die Ramme nicht ins Meer glitt. Später montierte man die Ramme auf die vier Beiboote der Amstelveen und unterstützte die Schwimmfähigkeit mit einigen, leeren und geteerten Fässern. Bei einer Wassertiefe von etwa drei Fuß, mussten die Pfähle auf drei Klafter verlängert werden. Van Dijks Rechnung war doch nicht aufgegangen.

Inzwischen waren Trupps in den Wäldern der Insel unterwegs um möglichst gerade gewachsene Bäume zu beschaffen. Das war aber gar nicht so leicht. Oftmals standen die gutgewachsenen Gehölze an Stellen, die relativ schlecht zugänglich waren. Kommandant Isbrantsz entschloss sich schließlich ein Teil der alten Wachmannschaft und einen Teil der Seemannschaft unter dem Kommando des ersten Offiziers Piet Rietfeld nach Amsterdam zurücksegeln zu lassen um weiteres Baumaterial und Vorräte zu beschaffen. Rietfeld stand kurz vor einem eigenen Kommando, deshalb hatte Isbrantsz wenig Bedenken ihn alleine loszuschicken.

Ein paar Tage bevor die Amstelveen Anfang Dezember 1603 auslaufen sollte, tauchten vor der Bucht drei Schiffe auf. Kommandant Isbrantsz lies, weil man die Identität der Schiffe nicht feststellen konnte, Alarm geben. Die Festung war weitestgehend kampfbereit, als das erste der Schiffe die Meerenge in die Bucht passierte und die Flagge der Niederlande hisste. Dann erkannte auch Rietfeld auf der Amstelveen, dass es sich um Kompanieschiffe handelte. Nacheinander fuhren die Ram, die Schaap und die Lam in die Grote Baai ein und ankerten.

Die kleine Flotte stand unter dem Befehl von Joris van Spilbergen und befand sich auf dem Heimweg von Bantam nach Amsterdam. Spilbergen bat Isbrantsz ein paar Tage bleiben zu dürfen um seine Vorräte aufzufüllen.

„Aber gern“, sagte Isbrantsz und konnte sich ein leichtes Lachen nicht verkneifen, „sagt doch Kommandant Spilbergen, wann habt ihr die Niederlande verlassen?“

„Wir sind Anfang Mai …“

„Am fünften Mai“, ergänzte sein erster Offizier.

„Ja, am fünften Mai 1601 ausgelaufen“, sagte Spilbergen.

„Na, da könnte Ihr ja noch nicht die Neuigkeiten wissen“, schmunzelte Isbrantsz, der sich immer gerne weltmännisch gab.

„Neuigkeiten“, fragte Spilbergen zurück.

„Im März 1602 wurde die VOC gegründet. Eine Vereinigung aller Handelskompanien der Niederlande.“

„Das sind gute Neuigkeiten“, pustete Spilbergen heraus, „die unsägliche Konkurrenz unter den Kompanien war nicht gut für das Geschäft. Die Kaufleute in Ceylon spielten uns einmal sogar mühelos gegeneinander aus.“

„Oh“, sagte Isbrantsz und fuhr fort, „die Insel Nieuw-Texel soll als Zwischenhalt für alle Schiffe der VOC dienen. Dort kann man zukünftig die Vorräte auffüllen und die Schiffe wieder in Stand setzen.“

„Das ist gut“, sagte Spilbergen überzeugt und fragte, “wo ist die Insel Nieuw-Texel denn?“

„Ihr befindet Euch direkt auf ihr“, zwinkerte Isbrantsz Spilbergen zu.

„Diese Insel heißt doch Santa Julia“, entgegnete Spilbergen.

„Seit dem März 1601 nicht mehr“, belehrte Isbrantsz seinen Gegenüber und fügte an, „seitdem gehört sie der Kompagnie. Der Name wurde bei der Gründung der VOC so festgelegt.“

„Das heißt, dass die Insel, als wir sie Anfang Oktober mit respektvollem Abstand passierten, schon von Niederländern besetzt war“, fragte Spilbergen ungläubig.

Isbrantsz antwortete mit einem kurzen „ja“.

Man spürte eine gewisse Verärgerung von Spilbergen. Dann klärte er Isbrantsz auf und erzählte, dass sie schon bei der Vorbeifahrt an Santa Julia eigentlich schon Frischwasser hätte aufnehmen müssen. Dann trieb sie ein Sturm vom Kurs ab und sie erreichten unter widrigen Umständen das Kap der Guten Hoffnung. Am Weihnachtsabend wurde die dreischiffige Flotte auch noch getrennt.

„Dann ist es ja beruhigend zu wissen, dass man hier einkehren kann“, resümierte Spilbergen und prostete dem Kommandanten zu.

„Ihr habt einen wunderbaren Humor … einkehren … ha ha“, lachte Isbrantsz laut los und prostete zurück.

Im Laufe des feuchtfröhlichen Abends erklärte Isbrantsz dem schon gut angeheiterten Spilbergen die Aufgaben der VOC und was er so an Neuigkeiten aus der Heimat wusste. Spilbergen und seine Männer erzählten von ihren Erlebnissen in Ceylon. Dort hatte Spilbergen mit dem König Vimala Dharma Suriya ein so gutes Einvernehmen, dass sie Freunde wurden. Er schmückte seine Erzählungen mit so wundervollen Details aus, dass am liebsten alle Männer in dieser Nacht nach Ceylon zu den wundervollen, ebenholzfarbigen Frauen aufbrechen wollten.

Zwei Wochen später verließen die drei Schiffe mit der Amstelveen zusammen die Insel und nahm Kurs Richtung Niederlande auf. Kommandant Isbrantsz war deutlich beruhigter, seine Amstelveen im Schutz dreier weiterer Schiffe zu wissen. Er hatte ganz bewusst die Seemannschaft auf das absolute Nötigste reduziert. Hier auf Nieuw-Texel brauchte er die Leute um den Auftrag der VOC durchzuführen.

Der junge Geistliche Thomas Evertsen hatte beschlossen auf der Insel zu bleiben und den Schäfchen des Herrn, hier nahe dem Äquator, beizustehen. Isbrantsz nahm seine Hilfe gerne an, war er doch in geistlichen Dingen nicht so bewandert. So war er Evertsen sehr dankbar.

Auf Nieuw-Texel fuhr man mit dem Ausbau fort. Täglich rammten die Bauarbeiter rund vier Pfähle mit einem guten Fuß Durchmesser in den Untergrund. Kurz bevor der Rammgewicht auf der Wasseroberfläche aufschlug und damit gebremst wurde, befestigte man ein kürzerer Pfahl, als eine Art Verlängerung und fixierte diesen mit Eisenkrampen. So wurde Pfahl für Pfahl gut zwei Fuß unter den Niedrigwasser stand in der Groote Baai getrieben.

Als eine Reihe von einem Duzend Pfählen nebeneinander eingeschlagen war, füllten andere Arbeiter den entstandenen Raum zum Strand mit Felsen, Geröll und schließlich mit Sand auf. Das Füllmaterial kam vornehmlich von den immer größer werdenden Rodungen für die Plantagen und Felder.

Interessanterweise hatte Isbrantsz die großflächige Abholzung verboten, sondern stellte sicher, dass immer nur einzelne Parzellen gerodet wurden. Die beliebte Brandrodung, wo man einfach ein Stück Wald ansteckte und wartet bis alles verbrannt war, hatte er untersagt. Alles wurde verwendet und wenn es nur als Kompost diente. Ob dies eine Form von Ökologiegedanke war, bleibt jedoch zweifelhaft. Anzunehmen ist eher, dass Isbrantsz seine Befehle so fasste, weil er nicht plötzlich auf einer abgeholzten Insel sitzen wollte. Der Erfolg des Unternehmens Nieuw-Texel als Rastplatz im Atlantik war viel zu wichtig.

Trotz der intensiven Suche auf der Insel konnte man weder Ton noch Sandstein in ausreichender Qualität finden. Für Isbrantsz und van Dijk zeichnete sich die Situation ab, dass jeder Ziegel und jedes Bauholz herangeschafft werden musste. Evertsen hatte auf seinen Wanderungen über die Insel ein paar vielversprechende Proben mitgebracht, aber leider stammten diese aus sehr unzugänglichen Teilen der Insel. So entschieden sich Kommandanten und Baumeister gegen die Nutzung der Inselressourcen. Ihnen war die Arbeitskraft der Bauleute und auch Soldaten an der Baustelle wertvoller, als Steine im undurchdringlichen Wald zu schlagen.

Später wurde Isbrantsz von den siebzehn Herren der VOC für seine Entscheidung kritisiert, die Amstelveen zurückfahren zu lassen und so, ohne ein Transportmittel mitten im Südatlantik zu sitzen. Sein Argument war, dass man zu diesem Zeitpunkt ausreichend Baumaterial hatte, um den Auftrag weiterauszuführen. Ein Transportmittel wäre auch nicht von Nutzen gewesen.

Ohne besondere Vorkommnisse wurde Pfahl für Pfahl in den Boden getrieben, Fundament für Fundament gelegt und Stück für Stück der Hafenanlage und der Magazine gebaut. Das Baumaterial ging doch rapide zur Neige, so dass Isbrantsz sich dazu entschloss noch einen zweiten Tag in der Woche die Arbeit ruhen zu lassen.

Nach den Wochen der Landgewinnung begannen die Arbeiter die Fundamente für die Magazine zu vervollständigen. Schon bei der Verfüllung hatte van Dijk darauf geachtet, dass zukünftige Kellergewölbe ausgespart blieben. Um das Fort östlich des Forts sah es in den nächsten Jahren nicht anders aus, als auf den Baustellen in den Niederlanden.

Nach fast einem halben Jahr nach dem das letzte Schiff die große Bucht verlassen hatte, tauchten die Segel einer kleinen Flotte auf.

Vor einigen Monaten hatte Isbrantsz einen kleinen, hölzernen Wachturm am Eingang der Bucht aufstellen lassen. Jeden Tag wechselte um die Mittagszeit die vierköpfige Mannschaft. Der Kommandant hatte bestimmte Rauchzeichen bei Tag und Fackelzeichen bei Nacht vereinbart. Um auf sich aufmerksam zu machen, hatte man eine kleine Drehbrasse auf ein Gestell montiert. Mit einem Schuss daraus konnte man dann die Fortmannschaft in Alarm versetzen. Daneben hatte man auch einen Fahnenmast aufgestellt und wenn ein eigenes Schiff die Bucht anläuft, sollte die Wachmannschaft zur Entwarnung und Begrüßung die Flagge der Vereinigten sieben Provinzen aufgezogen werden. Bei feindlichen Schiffen sollte ein weiterer Schuss aus der Drehbrasse erfolgen.

Wie befohlen, hielt einer der Wachhabenden eine Lunte an die Drehbrasse und ein Schuss löste sich.

Die, mit den Bauten beschäftigten Männer schreckten auf, erkannten aber sofort die Situation und stellten die Bauarbeiten ein. Schnell eilten sie in das Fort, bezogen ihre Stellungen, machten die Kanonen bereit, um sie zu laden. Dann war die klare Anweisung – abwarten.

Die vier Schiffe näherten sich langsam der Bucht und hissten dann die Flagge der Niederlande. Isbrantsz blickte durch sein Sehrohr, doch er konnte es nicht richtig erkennen. Er forderte einen jungen Soldaten auf, der neben ihm stand, durch das Sehrohr zu schauen und ihm zu sagen, welche Farben er da ausmachen könnte.

Noch bevor der junge Mann berichten konnte, ging ein freudiger Aufschrei durch die Reihen der Artilleriemannschaften, sie hatten den Flaggenmast am Buchteingang beobachtet und dort wurde gerade die orange-weiß-blaue Flagge emporgezogen.

Der Besuch der Ster, Nassau, Leiden und Erasmus waren nur für wenige Tage. Sie wollten Wasser und Früchte aufnehmen. So ruhten die Bauarbeiten ein paar Tage und die Mannschaft des Forts war in den Wäldern unterwegs um Wasserfässer zu füllen und Früchte zu ernten. Isbrantsz war froh, dass man nicht mehr von ihm wollte. Nieuw-Texel war weit davon entfernt, einsatzbereit zu sein. Außerdem erwartete er die Rückkehr der Amstelveen – immer in der Hoffnung, dass sie nicht gekapert oder versenkt worden war.

Zwei Monate nachdem die kleine Flotte die Bucht wieder verlassen hatte, kündigte ein Schuss die Ankunft dreier Schiffe an, die ebenfalls erst kurz vor der Reichweite einer Kanone die niederländische Flagge zeigten. Isbrantsz hatte sofort das eine der Schiffe erkannt – die Amstelveen. Die beiden anderen kannte er nicht. Es waren die Amsterdam und die Gouda.

Inzwischen hatte man fast alle Pfähle in den Strand und den Grund der Groote Baai gerammt. Die Ziegel waren fast aufgebraucht und auch sonst war vieles zur Neige gegangen. Die Flottille kam also gerade recht. Sie wurde befehligt von einem Kapitän der VOC, Willem Mooilieven.

Mooilieven und Isbrantsz saßen den ganzen Abend zusammen und tauschten Informationen aus. Sie war gleichaltrig und dienten beide schon in den Kompanien vor der Gründung der VOC.

Mooilieven erzählte, was in Amsterdam nach der Ankunft der Amstelveen passiert war. Als sich der erste Offizier Piet Rietfeld, wie befohlen im Magazin am Kloveniersburgwal, den provisorischen Büroräumen der VOC, meldete und wie von Isbrantsz geheißen, die Schreiben und Unterlagen vorlegte, war man dort sehr überrascht. Am nächsten Tag sollte er bei ein paar der Herren Kaufleute vorstellig werden und detaillierter erklären, warum er mit der Amstelveen hier in Amsterdam war.

Genau wie schon beschrieben, empfand man es als ausgenommen dumm, dass Isbrantsz alleine, ohne Schiff auf einer einsamen Insel im Atlantik saß. Rietfeld konnte aber die Herren überzeugen, dass Isbrantsz nicht unüberlegt gehandelt hätte, sondern er sich im Schutz der drei anderen Schiffe befunden habe. Nach fast zwei Stunden war das Gespräch vorüber und Rietfeld hatte sogar die Kaufleute überzeugen können, noch weitere Schiffe, vollgepackt mit Baumaterial und Proviant nach Nieuw-Texel zu entsenden.

Ein paar Tage später, so berichtet Mooilieven weiter, hatte man dann zwei ausgediente Ostindienfahrer auf Reede vor Amsterdam gefunden, die Amsterdam mit 250 Lasten und die Jacht Gouda mit 140 Lasten Ladekapazität. Beide Schiffe hatten schon ein paar Reisen nach Fernost hinter sich gebracht. So lag die Amsterdam, die im Frühjahr 1598 vom Stapel gelaufen war, schon zweimal vor Santa Helena. Das erste Mal wollte man, auf dem Rückweg von Bantam im Frühjahr 1600 dort Frischwasser und Obst bevorraten, doch wegen der portugiesischen Präsenz gab man nach vier Tagen auf und fuhr weiter zur Ilha de Ascensão (Ascension). Das zweite Mal befand sie sich die Amsterdam wieder auf dem Rückweg aus Bantam, das war Ende Herbst 1602. Ein Jahr zu vor hatte eine kleine Flottille die Portugiesen von Santa Helena vertrieben. So konnte die Mannschaft der Amsterdam auf der leeren Insel nach Wasser und Früchten suchen. Einen Tag vor Weihnachten segelte man dann weiter Richtung Niederlande.

Mit der Amstelveen zusammen hatte Rietfeld, der es als seine Aufgabe ansah die Flottille nach Nieuw-Texel zurückzuführen, über 1.300 Lasten Ladungsraum. Während die Schiffe beladen wurden, erhielt Rietfeld ein anderes Kommando. Obwohl er widersprach, gab man ihm ein anderes Schiff, zweihundert Gulden und die Aussicht auf Anteile an den zu erwartenden Reichtümer, wenn er das Schiff von Willem Mooilieven übernahm.

Adriaan Isbrantsz hatte die ganze Zeit schweigend zugehört und fragte jetzt, „Euer Schiff, Mooilieven?“

„Ja, ich habe mich mit verschiedenen Vorstellungen der VOC nicht einverstanden erklärt. Vielleicht war ich etwas ungehalten. Ich hege keinen Groll gegen Rietfeld, vielleicht hat er sein Glück gefunden – oder ich das meine“, antwortete er.

Mooilieven hatte dann die Beladung der Schiffe nach Isbrantsz Vorgaben durchgeführt. Am 25. April 1604 verließ er dann mit den drei Schiffen den Amsterdamer Hafen.

Die Männer saßen noch eine Weile zusammen und unterhielten sich über die verschiedensten Dinge. Es war ein warme Augustnacht.

Am nächsten Tag begann schon früh das Ausladen der Schiffe. Die deutlich kleinere Jacht Gouda wurde mit den Beibooten vorsichtig an die neue, noch nicht ganz fertige Kaimauer gezogen. Die Kielfreiheit war völlig ausreichend, stellte Baumeister Jan van Dijk fest. Und selbst für die größere Amstelveen sollte die aktuelle Tiefe ausreichend sein, wenn die Hälfte der Ladung von Bord wäre. Noch hatte man ja nicht den Grund an der Kaimauer begradigt und ein Risiko wollte van Dijk nicht eingehen.

Im Laufe der nächsten Tage saßen Mooilieven und Isbrantsz noch öfters zusammen. Kapitän Mooilieven hatte noch ein paar Anweisungsschreiben der VOC für Kommandant Adriaan Isbrantsz, die er ihm übergab. Darin stand, dass er weitere Magazine bauen sollte, vor allem für die Aufbewahrung von Menschen. Sehr detailliert war beschrieben, wie die Kaufleute sich die gefängnisähnlichen Bauten vorstellten und welche Vorkehrmaßnahmen man ergreifen sollte. Weiter hieß es in der Anweisung er soll auch weitere Plantagen anlegen um die Ware bei guter Gesundheit zu halten.

In den ersten Jahren werden die als Gefängnisse ausgebauten Magazine vornehmlich als normale Warenspeicher benutzt. Eine Nachfrage nach Sklaven gibt es faktisch nicht. Anfänglich werden die niederländischen Faktoreien an der afrikanischen Küste bei Mori (später Fort Nassau) und Butre (später Fort Batensteyn) diese Nachfrage bedienen.

Im Gegensatz zu unserem heutigen Verständnis hatte Adriaan Isbrantsz keinerlei Bedenken die Anweisungen seines Arbeitgebers umzusetzen. Der Handel mit gepressten Arbeitskräften war weder verwerflich, noch unmoralisch. Ganz im Gegenteil, es wurde mit allem gehandelt, was Geld brachte. Das Gespür der Amsterdamer Kaufleute war untrüglich. Bald würden in den Plantagen in Westindien mehr gute Arbeitskräfte benötigt als der südamerikanische Kontinent hergab. Außerdem galten Indios als nicht sonderlich belastbar und eher arbeitsunwillig.

Sklaverei kann als Oberbegriff zwar verwendet, sollte aber erklärt werden. Mit Sklaverei verbindet sich zu dieser Zeit nur in den seltensten Fällen Rassismus. Beispielweise wurden kräftige Männer mit Geld und Alkohol in die Söldnerheere oder auf Schiffe gepresst. Diese Art der Werbung war Gang und Gäbe. Ebenso wurde der niederländischer Segelmacher Jan Jansz Struys mehrere Jahre in die Sklaverei der Tartaren gezwungen. Nach fünf Jahren erreichte er erst seine Heimat wieder und wurde mit seiner Abhandlung mit dem prägnanten Titel „Sehr schwere, wiederwertige, und denkwuerdige Reysen …“ bekannt.

Die Darstellungen, die in der Fernsehserie Roots, in der Mitte der Neunzehnhundertsiebziger Jahre, beschreiben sehr gut die Situation am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, diese ist aber mit der am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts nur in wenigen Punkten vergleichbar.