Ein historisches Literaturprojekt

Erste Entdeckung

Warum gerade im Frühling 1502 ein solch schlechtes Wetter über dem Süd- und Mitteltalantik lag, ist eines der Phänomene, die diesen extravaganten Abschnitt der Geschichte überhaupt möglich werden ließ. Das Wetter und vornehmlich das schlechte Wetter, sollte noch öfters eine entscheidende Rolle für jene kleine Inselgruppe spielen.

Der portugiesische Seefahrer João da Nova war gerade auf dem Rückweg nach Portugal, als es früh morgens vom Mastkorb schallte: „Land voraus!“. Drei Wochen hatten sie kein Land gesehen und waren auf ruhiger See, bei mäßigem Wind unterwegs. Auf dieser Insel könnten sie ihr Trinkwasser auffüllen. Er stand auf dem hinteren Deck der der dreimastigen Nao São Cristóvão. Der Name ihres Schiffes, der Schutzpatron der Reisenden, hatte ihrem Schiffes bisher Glück gebracht.

João konnte einen dunklen Fleck in der Entfernung ausmachen. Während er mit seinem Sehrohr versuchte die Silhouette zu erkennen, hörte man nun auch von den nachfolgenden Schiffen, der Boa Sorte, der São Fabiano und kurze Zeit später auch von der Retorno den Ruf vom Ausguck. Langsam näherte sich die kleine Flottille der einzelnen Insel im Atlantik.

Da Nova stellte noch einmal die Position fest – ja, es handelte sich um eine neue, unbekannte Insel. Auf seiner Karte war an dieser Stelle nur blanke See zu sehen. Vor über einem Jahr, auf dem Hinweg nach Indien, hatte er in diesen Gewässern schon eine Insel entdeckt und sie damals Ilha de Nossa Senhora de Conceição getauft. Doch diese Insel hier lag viel weiter südlich und konnte die damals entdeckte Insel nicht sein.

Er ging unter Deck in seine winzige, stickige Kabine. Es roch aber sehr intensiv nach Gewürzen, die sie in Indien geladen hatten. Er setzte sich an den Tisch, öffnete das Buch in dem er alle Ereignisse festhielt und blätterte zurück an den Anfang ihrer Reise. Nachdem er sich die Zeilen noch einmal durchgelesen hatte, war er sich sicher. Das ist nicht die Ilha de Nossa Senhora de Conceição.

Er notierte, nach dem er wieder zum heutigen Tag geblättert hatte:

Heute, am Tage des heiligen Konstantin, den einundzwanzigsten des Monats Maius anno domini 1502 haben wir eine Insula entdecket. Nach trefflicher Peilung ist sicher, daß es sich nicht um Ilha de Nossa Senora de Conceição handelt, die wir schon ein Jahr zuvor entdecket haben. Dieser Insel hier werde ich, im Gedenken an die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, der Heiligen Helena, gebe ich der Insula ihren Namen Santa Helena. Es scheint als sei das Eiland unbewohnet.

Dann folgten noch die Positionsangaben. Er schloss sein Roteiro und ging wieder an Deck.

Es mochte kurz vor Mittag sein, als die Umrisse von Santa Helena immer deutlicher wurden. Tiefe eingeschnittene Täler, wie auf einigen der kleineren kanarischen Inseln. Er konnte keine Anzeichen menschliche Spuren entdecken. Die Insel war stark bewaldet und bot nur an wenigen Stellen die Möglichkeit des Landgangs. Er wies den Steuermann an, einen Teil der Segel einzuholen. Langsam segelten sie an der Insel vorbei. Der Steuermann hielt sich bereit, jeder Zeit den Befehl zum Ankern von João zu erhalten.

Dann, nach einer guten Stunde der langsamen Fahrt zeigte João auf eine Bucht und erste Offizier Francesco da Porto rief den wartenden Seeleuten zu, die Segel zu reffen und Anker zu werfen. So gleich erfolgte das Signal auch an die anderen Schiffe.

An Bord der Retorno waren zwei Männer etwa eine Woche nach dem Auslaufen aus Moçambique, an einer Art heftigen Erkältung erkrankt. Schüttelfrost, Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen gingen einher mit einem merkwürdigen Ausschlag. Später folgten rote Gesichter und Bluterbrechen. Man hatte sie unter Deck eingesperrt und sie bekamen nur durch ein quadratischen Loch in der Zwischenwand etwas zu Essen und zu Trinken. Es war ein jämmerlicher Anblick. Krankheiten auf den Schiffen waren sehr gefürchtet. Skorbut war durch die sehr einseitige Ernährung auf den langen Reisen keine Seltenheit. Man wusste zwar noch nicht genau, warum Seeleute die Symptome Durchfall, Fieber, Zahnfleischbluten, Erschöpfung und Müdigkeit zeigten, man ahnte aber, dass es mit der Ernährung zusammenhing. Und auch auf dieser Reise gab es einige Fälle von Skorbut.

João da Nova ließ sich zur Retorno übersetzen. Schweren Herzens begab er sich unter Deck. Auch hier roch es intensiv nach Gewürzen aus Indien. Schließlich stand er vor dem Loch, das etwa in Brusthöhe in die Wand gesägt worden war. Darin konnte er nur Schatten erkennen, die sich kaum bewegten. Einzig das schwere Atmen drang an sein Ohr. „Männer“, sprach er sie an, „Ihr wisst, warum Ihr hier unter Deck seid? Die Regel bei erkrankten Seeleuten auf königlich portugiesischen Schiffen kennt Ihr? Wir liegen vor einer Insel, die Santa Helena heißt. Wir müssen Euch hier an Land setzen.“ Aus dem schweren Atmen von der anderen Seite der Wand war ein leises Schluchzen geworden. „Die Insel ist groß und fruchtbar. Hier werdet Ihr Euch erholen können.“ Keine Antwort. João blieb noch einen Augenblick stehen, um auf eine Antwort zu warten. Dann drehte er sich um und verlies den dunklen, stickigen Laderaum. 

João gab Befehl die Kranken an Land rudern zu lassen. Für diese beiden war der Schiffsname Retorno - Wiederkehr - zum Hohn geworden. Dennoch standen ihre Überlebenschancen grundsätzlich auf einer Insel zum Besseren. Eine Seereise ist für einen geschwächten Körper noch viel anstrengender. Als sie das Grün der Insel sahen, schöpfen sie wieder ein wenig Hoffnung.

Ein Teil der Mannschaft half Unterkünfte für die Gefährten zu errichten. Bis zum späten Abend schallte von Land das Hämmern und Klopfen der Zimmerleute herüber. João da Nova war in der Nacht noch einmal an Deck gegangen. Die Lagerfeuer an Land verbreitete eine beruhigende Atmosphäre. Er hatte das Wetter am Abend beobachtet. Die See wurde unruhiger. Hoffentlich konnte sie am nächsten Tag weiterfahren.

Der Morgen kam und die Naos begannen bereits auf den Wellen zu tanzen. João da Nova befahl den Matrosen, die Fässer mit dem Frischwasser an Bord zu bringen und die Schiffe seefertig zu machen. Er wollte in keinem Falle hier einen Sturm erleben und womöglich noch an den Felsen von Santa Helena zu zerschellen. Die Matrosen beeilten sich. Und wie er es vorausgesehen hatte das Wetter wurde von Stunde zu Stunde schlechter. Endlich am späten Vormittag waren die Schiffe seeklar, lichteten den Anker und feuerten drei Schuss Salut für die Zurückbleibenden.

Man konnte zusehen, wie der Himmel von Südosten dunkler wurde. João da Nova stand die ganze Zeit an Deck. Noch kam der Wind aus der richtigen Richtung. Sie fuhren westlich, davon war João überzeugt, doch an diesem Tag sollten seine Erfahrung und sein seemännisches Geschick ihn im Stich lassen.

Die Strömungen können um Santa Helena tückisch sein und genau das waren sie an diesem Tag. Tatsächlich wurde die Schiffe mehr nach Norden geschoben, als dass die nach Westen fuhren. Ein Teil der Segel wurden eingeholt und eine halbe Stunde später wieder gesetzt, das Wetter war unberechenbar. Als es kurze Zeit schien aufzuklaren, setze plötzlich ein Regenschauer mit böigen Winden ein.

Dann am späten Nachmittag, es schien wieder aufzuklaren, der Ruf aus dem Mastkorb, dass Land am Horizont in östlicher Richtung wäre. João da Nova traute weder dem Mann im Mastkorb, noch seinen eigenen Augen. Doch tatsächlich wieder eine Insel. Der Wind hatte an Stärke wieder zugenommen. Immer wieder sah er durch sein Sehrohr und versuchte markante Einzelheiten zu erspähen. Der Pilot fragte etwas ungeduldig nach, ob João wirklich vorhabe, gegen den Sturm zu dieser zu segeln. Da Nova wirkte abgelenkt, doch schließlich wandte er sich um und gab das Kommando zum Weiterfahrt. Als er wieder Richtung Osten schaute war diese Insel verschwunden. Durch sein Sehrohr meinte er noch etwas am Horizont auszumachen, doch eine gewisse Ungewissheit blieb.

Nach dem Wachwechsel ließ er den Mann aus dem Mastkorb in seiner Kajüte antreten und fragte ihn energisch, ob er sich denn sicher sei etwas gesehen zu haben. Bei Gott, Jesus und dem Heiligen Geist schwor er, dass er eine Insel gesehen habe. Sie war jedoch viel flacher als Santa Helena, aber auch deutlich größer. Aber Letzteres konnte er ja nur aus der Erinnerung sagen.

João da Nova schrieb in sein Roteiro:

22. Maius anno domini 1502 haben wir eine weitere Insel entdeckt. Sie scheinet größer, aber flacher als Santa Helena. Es gibt einen stattlichen Wald dort. Ungünstige Winde und schlechte Strömungen haben einen Landgang zu nichte gemacht. Wir setzen unsere Reise fort. Dennoch geben wir ihr den Namen der Heiligen Júlia von Korsika, deren Hochtag jetzo ist. Sie lieget nur eine Reise von einem guten halben Tag in Richtung Nordwest von Santa Helena.

Mit einigem, was er so gewissenhaft eingetragen hatte, irrte João da Nova gewaltig. Er hatte die größte Insel einer Inselgruppe gesehen und einen Teil einer dahinter gelagerten zweiten Insel. Santa Júlia und Santa Helena sind beide vulkanischen Ursprungs, aber Santa Júlia ist deutlich älter, weniger zerklüftet und um einiges größer.

Und schließlich, liegt Santa Júlia nördlich von Santa Helena. Besonders diese Falschangabe wird bald einen Kapitän der portugiesischen Flotte verzweifeln lassen.