Ein historisches Literaturprojekt

Flucht aus Böhmen

„Niederlage! Oh Gott, welch jammervolles Töten! Flieht“, Christian von Anhalt konnte sich nur mit Mühe im Sattel halten. Sein Gesicht war rußgeschwärzt und übersäht von kleineren und größeren leicht blutenden Wunden, so wie sie von Kartätschen stammen. Ebenso war sein Rock völlig zerfetzt.

Friedrich zügelte seinen Schimmel und sah ihn erschrocken an.

„Flieht!“ rief Christian erneut.

Der Tross, der Friedrich begleitete und sich eigentlich den Sieg der böhmischen Truppen am Weißen Berge ansehen und bejubeln wollte, war sichtlich irritiert.

„Was ist geschehen“, rief Friedrich zurück und versuchte sein Pferd ruhig zu halten.

„Dieser Teufel. Niemand hätte einen Angriff gewagt“, fluchte Christian, der völlig außer Atem war, „gegen Mittag eröffnete Tillys linker Flügel das Feuer. Alsbald auch der rechte. Es war so überraschend, dass manch ein feiger Hund dieser Söldner seine Waffen sinken ließ und auf und davonrannte.“

Christian nahm einen Schluck aus seiner Feldflasche, während auch er sein Pferd, dass sichtlich nervös war, im Zaume zu halten versuchte, „dann sah es ganz gut aus. Wir konnten die spanische Kavallerie zurückdrängen und auch wallonische Truppen. Doch gegen die Übermacht der italienischen und polnischen Reiterei hatten die tapferen Ungarn keine Chance. Ich sah nur, wie sie versuchten über die Moldau zu fliehen, doch in dem eisigen Wasser verlor so mancher sein Leben.“

Friedrich starrte auf den Boden. Einer der Begleiter rief ihm zu, dass er fliehen sollte, jetzt wo noch Zeit wäre. Christian pflichtete ihm bei, „Ihr müsst sofort Böhmen verlassen.“

Dann setzte sich der Haufen in Bewegung, zurück in die Stadt und zurück auf den Hradschin.

Mit drei kleinen Kindern, seiner schwangeren Frau Elisabeth war Friedrich im Herbst vor einem Jahr nach Prag gekommen. Hier hatte kurz nach Weihnachten sein Sohn Ruprecht das Licht der Welt erblickt. Jetzt packte man eilig die Sachen zusammen – vor allem die Kronjuwelen.

Am Morgen des 9. November verlies Friedrich mit der erneut schwangeren Elisabeth und vier kleinen Kindern Prag. Noch zu recht, denn auch die Prager Bevölkerung hatte sich gegen ihn gewandt und wollte ihn ausliefern.

Als der Wagen, in dem der König saß über das Pflaster rumpelte, gab es plötzlich einen heftigen und dumpfen Schlag, begleitet von einem Krachen. Ein großer Pflasterstein hatte die Tür durchschlagen und lag nun vor Friedrichs Füßen.

Sein Vater war verstorben, als er vierzehn Jahre alt war. Mit siebzehn hatte er Elisabeth, die Tochter des englischen Königs geheiratet. Mit achtzehn Jahren war er Kurfürst geworden, mit Dreiundzwanzig König von Böhmen. Jetzt war er auf der Flucht und hatte nichts mehr. Aus Böhmen musste er fliehen und die Pfalz war besetzt von Truppen der Katholischen Liga. Vielleicht würden ihn ja die schlesischen Stände unterstützen?

Doch auch diese Hoffnung zerschlug sich schnell. Friedrich und seine Familie mussten auch Schlesien verlassen. Nach Sachsen konnten sie auch nicht, so blieb nur die Verwandtschaft in Berlin. Seine jüngere Schwester Elisabeth Charlotte war mit Kurfürst Georg Wilhelm seit guten vier Jahren verheiratet.

Georg Wilhelm war der Familienbesuch, und besonders dieser zuwider. Er, der sich am liebsten aus allem heraushalten wollte, hatte jetzt diesen Aufrührer im Haus. Es war nur noch eine Frage der Zeit, dass der Kaiser diesen Landesverräter die Reichsacht verhängte.

„Ihr seht, dass Eure Schwägerin schwanger ist und bald niederkommen wird“, sagte Elisabeth Charlotte eindringlich.

Georg schwieg.

„Ich beschwöre Euch. So lasst sie wenigstens ihr Kind zur Welt bringen.“

Georg schwieg noch immer.

„Ihr selbst seid doch selbst im Februar Vater geworden, lieber Georg.“

Georg atmete tief und sagte dann, „sie sollen in die Festung Küstrin gehen.“

„Habt Dank …“

„Aber spätestens nach der Zeit im Kindbett müssen sie Brandenburg verlassen. Oder wenn die Reichsacht gegen sie verhängt wird, dann aber subito. Ich möchte keine Geächteten in meinem Land beherbergen. Sagt ihnen das, Kurfürstin“, sprach Georg Wilhelm recht bestimmt, dann verlies er das Gemach und lies Elisabeth Charlotte allein zurück.

Am Dreikönigstag 1621 erfüllten dann die kräftigen Schreie eines Neugeborenen die Mauern der Festung Küstrin. Moritz von der Pfalz, das fünfte Kind der Pfälzer.

Georg sollte Recht behalten. Ende Januar verhängte Kaiser Ferdinand gegen Friedrich die Reichsacht und beauftragte Herzog Maximilian von Bayern mit der Ausführung.

Ende Februar war die siebenköpfige pfälzische Familie wieder auf dem Weg. Man hatte Zuflucht bei Friedrichs Onkel Mauritz van Oranje, dem niederländischen Statthalter gefunden. Dort hatten Friedrich und Elisabeth direkt nach ihrer Hochzeit aus England kommend,  ein paar schöne Wochen verbracht.

Die Spanier, die begonnen hatten die Pfalz zu besetzen, waren auch Mauritz Feinde. Ein, vor vielen Jahren geschlossener Waffenstillstand zwischen Spanien und den Niederlanden würde im April 1621 auslaufen. Beide Parteien hatten sich bisher nicht ernsthaft die Mühe gemacht ihn zu verlängern. Ganz im Gegenteil seit fast zwei Jahren waren beide Parteien nur damit beschäftigt für diesen Tag aufzurüsten.

Ohne größere Zwischenfälle erreichte Friedrich mit seiner Familie die Niederlanden und am 14. April 1621 wenige Tage nach dem Ablauf des Waffenstillstandes werden sie in Den Haag (damals vornehmlich ’s-Gravenhage genannt) mit allen Ehren eines Staatsoberhauptes empfangen.

In Böhmen hingegen übt Kaiser Ferdinand Rache an den Böhmischen Ständen am 21. Juni 1621 werden viele von ihnen in Prag enthauptet. Deren Köpfe wurde auf lange Stangen gespießt und am Altstädter Brückenturm für einige Jahre als Abschreckung zur Schau gestellt. Es wurde aber auch Gnade geübt, dennoch zog der Kaiser alle Vermögen ein und verteilte sie unter seinen Getreuen. Auch der kaiserliche Feldherr Albrecht von Wallenstein partizipierte davon.

Obwohl Friedrich immer die Hoffnung hatte wieder in die Pfalz zurückzukehren, richtete sich die Kurfürstenfamilie in den Niederlanden ein. In Rhenen westlich von Arnheim ließ er ein recht ansehnliches Schloss bauen, dass im Jahre 1631 vollendet war.

Am 18. April 1622 kommt Louise Maria „Hollandine“ von der Pfalz in Den Haag auf die Welt. Den Beinamen Hollandine erhielt sie aus Dankbarkeit der pfälzischen Kurfürstenfamilie an ihr Exil.

Doch die Zeit der Schicksalsschläge scheint nicht vorbei zu sein. Eine Rückkehr in die Pfalz scheint immer aussichtsloser zu werden. In Deutschland tobt der Dreißigjährige Krieg. Wallenstein ist als kaiserlicher Generalissimus sehr erfolgreich und als Herr von Friedland ebenfalls. Alle Hoffnungen Friedrichs ruhen auf seinem Erstgeborenen, dem fünfzehnjährigen Heinrich Friedrich. Im Januar 1629 passiert das Unglück. Friedrich und sein Sohn sind bei der Besichtigung von Kapergut der neugegründeten Westindischen Companie (WIC) auf einem niederländischen Schiff, als es zu einem Unfall kommt. Friedrich wird schwerverletzt und braucht über ein Jahr um wieder zu genesen. Heinrich aber wird getötet.

Friedrich hat nicht nur den Sohn verloren, sondern auch die Chance einen Frieden mit Spanien vergeben. Der Schwiegervater James I. wollte den jungen Heinrich mit der Tochter des spanischen Königs verheiraten und so zu einem Frieden in der Pfalz kommen.

Der Unfall, aber auch die Aussichtslosigkeit, hatte Friedrich mürbe gemacht. Er versucht sogar sich mit dem Kaiser zu verständigen.

Als schließlich der Schwedenkönig Gustav Adolf 1630 auf Usedom landet und in den Krieg eingreift, schöpft er Hoffnung. Sein dreizehntes Kind lässt er sogar auf den Namen des vermeintlichen Retters im Januar 1632 taufen. Im November kommt es dann zur Schlacht bei Lützen in deren Verlauf Gustav Adolf aus nächster Nähe erschossen wird. Nun sind alle Hoffnungen dahin. Zwei Wochen später stirbt auch Friedrich.

Er hinterlässt seine Frau und zehn Kinder, von denen noch ein paar in der Geschichte dieser winzigen Inselgruppe im Südatlantik noch eine wichtige Rolle spielen werden.

Sein Leichnam wird noch eine abenteuerliche Reise durchs Elsass machen, um dann irgendwo verscharrt zu werden. Seine Innereien, und das scheint sehr sicher, liegen in der Katharinenkirche in Oppenheim.